Themen

Komplexes Puzzle

Nach Patentablauf dürfen Medikamente nachgebildet werden. Doch das ist gar nicht so einfach, besonders, wenn es um biologische Arzneimittel geht. Diese bestehen aus hunderten von Protein-Bausteinen

 

und die Rezeptur gibt es nicht im Internet. Wie sie beim Biosimilar-Entwickler Formycon ein Arzneimittel erst in seine Einzelteile zerlegen, diese dann neu zusammenfügen – und damit die Gesundheitssysteme entlasten.

Im hellen Licht ihres Münchner Labors blicken Menschen in weißen Kitteln durch Schutzbrillen auf Monitore mit komplizierten Graphen. Eine von ihnen hält ein kleines Röhrchen in den Lichtkegel der Laborlampe: „An diesen paar Tropfen“, sagt sie stolz, „haben wir etwa sieben Jahre gearbeitet.“

Die Biochemikerin Dr. Christina Wolf (43) leitet ein Team aus Wissenschaftler:innen der Molekularbiologie, Biotechnologie, Proteinchemie und Pharmazie. Sie alle haben bei Formycon ein gemeinsames Ziel: Biosimilars entwickeln. Dafür aber müssen sie hochkomplexe Moleküle nachbilden – und zwar ohne Rezeptur oder Anleitung.

Biosimilars können – ähnlich wie Generika – nach Patentablauf auf den Markt kommen. Aber anders als Generika werden Biosimilars nicht chemisch hergestellt. Das „Bio“ im Namen verrät ihre Besonderheit. „Es sind Arzneimittel, die in lebenden Zellen hergestellt werden“, sagt Wolf. Sie helfen gegen schwere Erkrankungen, wie Krebs, Morbus Crohn oder altersbedingte Augenkrankheiten.

Die Firma Formycon in der Nähe von München wurde 2012 von zwei Pharma-Managern gegründet. Wolf ist seit den Anfängen dabei. Damals war sie eine von knapp 40 Mitarbeitenden. Heute sind hier 250 Menschen beschäftigt. Was als Startup anfing, ist mittlerweile ein Unternehmen, das im SDAX und TecDAX der Deutschen Börse gelistet ist. Dort ist es fast eine Milliarde Euro wert.

Das Konzept der Formycon: Fokussieren! Viele Pharmafirmen stellen sich breit auf und haben diverse Medikamente im Portfolio, etwa Generika, patentgeschützte Produkte und nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, die in Apotheken zu kaufen sind. Nicht so Formycon. Ihr ganzes Wirken ist ausschließlich auf Biosimilars ausgerichtet. In zwölf Jahren haben sie hier drei Biosimilars entwickelt und bis zur Marktzulassung gebracht. Weitere sind geplant und aktuell in verschiedenen Entwicklungsstadien.

„Bevor wir Biosimilars entwickeln können, müssen wir verstehen, was wir überhaupt nachbauen wollen“, sagt Wolf. „Dafür untersuchen wir die molekularen Bausteine des sogenannten Referenzarzneimittels und schauen: Woraus bestehen diese und auf welche Weise sind sie miteinander verknüpft?“ Das ist extrem wichtig, denn die Anordnung und die Eigenschaften der Bausteine bestimmen maßgeblich, wie wirksam und sicher das Arzneimittel ist. „Weil aber jeder biologische Wirkstoff ein bisschen anders ist, gibt es nicht die eine Blaupause“, so Wolf weiter. „Wir müssen jeden Wirkstoff individuell analysieren und unsere Herstellprozesse immer wieder entsprechend anpassen.“

Ein Biosimilar entwickeln – das kann man sich wie ein komplexes Puzzle vorstellen. Nur dass nicht sofort klar ist, welches Bild es darstellt. Erst nachdem es auseinandergenommen und die einzelnen Teile präzise analysiert sind, erkennen die Wissenschaftler, was sie sehen – und aus was für tausenden unterschiedlichen Elementen es besteht. „Letztlich wollen wir wissen: Wie hält das Puzzle zusammen und wo sind vielleicht Teile austauschbar – ohne dass das die Wirksamkeit und Stabilität gefährdet?“

Heraus kommt am Ende ein Antikörper. Das ist ein Protein, das vom Immunsystem eingesetzt wird, um Bakterien und Viren zu neutralisieren. Gentechnisch modifiziert und als Arzneimittel eingesetzt können sich Antikörper auf Krebszellen setzen, um diese für das Immunsystem erkennbar zu machen, welches sie daraufhin angreift und abtötet.

Dabei ist ein Antikörper ein komplexes Gebilde. „Alltägliche Medikamente, wie etwa Aspirin, sind relativ einfach herzustellen“, sagt Dr. Wolf. „Die bestehen aus wenigen chemischen Molekülen – biologische Arzneimittel hingegen aus tausendfach gefalteten Protein-Ketten.“ Die Herstellung von Generika und Biosimilars lasse sich deshalb kaum vergleichen. „Es ist kein Unterschied wie zwischen Äpfeln und Birnen, sondern eher wie zwischen einem einzelnen Apfel und einem ganzen Birnbaum, samt seiner verflochtenen Wurzeln im Erdreich“, erklärt Wolf.

Video zeigt unterschiedliche Komplexität: Generika vs. Biosimilars

Der ganze Prozess – vom Einkauf des Referenzarzneimittels, über die Entwicklung des Biosimilars bis zu dessen Anwendung beim Patienten – kann acht bis zehn Jahre dauern und bis zu 300 Millionen Euro kosten. Viel Aufwand, der sich lohnt. Der globale Markt für Biosimilars ist seit Jahren auf Wachstumskurs. In den nächsten Jahren laufen zahlreiche weitere umsatzstarke biologische Arzneimittel aus dem Patentschutz.

Biosimilars sind auch deshalb auf dem Vormarsch, weil sie nicht nur die Verfügbarkeit der Arzneimittel verbessern, sondern gleichzeitig die Gesundheitssysteme entlasten: Denn einmal zugelassen, sind sie deutlich günstiger im Vergleich zur Therapie mit dem Referenzarzneimittel.

So kosten beispielsweise die Biosimilars des einst umsatzstärksten Medikaments Humira® mit dem Wirkstoff: Adalimumab (Jahresumsatz: ca. 20 Milliarden Euro) in Deutschland inzwischen 44 Prozent weniger als die Krankenkassen vor dem Patentablauf zahlen mussten. Eine massive Entlastung für das deutsche Gesundheitssystem: 2023 wurden insgesamt knapp zwei Milliarden Euro eingespart – einfach, indem Biosimilars anstelle von Referenzarzneimitteln verordnet wurden.

Die Aussicht, mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems zu leisten und Patient:innen zu helfen, treibt das Formycon-Team weiter an. Nach den drei Wirkstoffen, zu denen das Unternehmen bereits marktreife Biosimilars entwickeln konnte, hat man hier neue, große Pläne. „Wir arbeiten derzeit an weiteren Antikörpern zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen“, sagt Wolf und ist zuversichtlich, dass sie irgendwann auch diese neuen Puzzles auseinandergebaut und neu zusammengesetzt haben wird.

Europa – ein starker Standort für Biosimilars

Kein anderes Segment des gesamten Pharmamarkts wächst so schnell wie das der Biosimilars. Machte deren Umsatz 2023 weltweit noch 30 Milliarden US-Dollar aus, gehen Prognosen des Online-Portals Statista von knapp 130 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 aus.

Dabei ist Europa der führende Kontinent für die Entwicklung und Produktion von Biosimilars – und eine herausragende Rolle spielt Deutschland. Inmitten einer allgemeinen Wirtschaftskrise ist die Biosimilar-Branche eine der wenigen, die hierzulande Wachstum generiert.

Fehlende Anreize zur Entwicklung von Biosimilars könnten sonst zu einer kritischen Lücke führen. Diese könnte nicht nur die Gesundheitssysteme erheblich finanziell belasten, sondern auch vielen Patienten den Zugang zu lebenswichtigen Therapien verwehren.

Um den Standort Europa zu stärken, darf nicht allein ein möglichst niedriger Preis ausschlaggebend sein, sondern auch die Qualität, Sicherheit und die Robustheit der Lieferketten. So kann Europa sich gegenüber der globalen Konkurrenz gut positionieren.

Alle Antworten zu Biopharmazeutika

Ob bei Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose — Biopharmazeutika bieten neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen bieten. Nach Patentablauf können verschiedene Hersteller Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen: die Biosimilars.

Zum FAQ

Was macht die Herstellung komplex?

Biopharmazeutika werden in lebenden Organismen erzeugt — etwa in gentechnisch veränderten Säugetierzellen. Anders als chemisch-synthetische Wirkstoffe bestehen sie aus Tausenden Atomen.

Mehr Infos
Januar 2025

Verschenkte Potentiale: Durch Biosimilars wären noch mehr Einsparungen möglich

Graphic of the month

Hier sehen wir es gelb auf weiß: Die Kosten von 1,4 Milliarden Euro (siehe gelbes Dreieck) entstehen in dieser Höhe nur, weil nach Patentablauf nicht für alle Biopharmazeutika sofort Biosimilars zur Verfügung stehen. Denn ohne Konkurrenz durch Biosimilars zahlen die Gesetzlichen Krankenkassen weiterhin viel Geld für die Originalpräparate.

Hersteller brauchen die richtigen Anreize, um Biosimilars zu entwickeln. Nur so können sie mithelfen, das Gesundheitssystem nachhaltig zu finanzieren.

Vorherige Grafiken finden Sie hier

Dezember 2024

Biosimilars: Zu viele Importe

Graphic of the month

Biopharmazeutika sind besonders schützenswert, denn sie sind biologisch hochsensible Moleküle. Deshalb haben der Gesetzgeber und die Selbstverwaltung Vorgaben erlassen, u.a. was Einsparungen durch sogenannte Parallel-Importe angeht: Biopharmazeutika sollen möglichst nicht importiert werden. Denn lange Lieferwege könnten deren Sicherheit gefährden.

Daten zeigen aber: Fast zehn Prozent aller in Deutschland verabreichten Biosimilars sind Importprodukte. Hier wird der gesetzgeberische Wunsch nach Patientensicherheit konterkariert.

Vorherige Grafiken finden Sie hier

November 2024

Biosimilars: Neue Abhängigkeiten drohen

Graphic of the month

Noch wird gut die Hälfte der in der EU zugelassenen Biosimilars in Europa gefertigt. Doch die Konkurrenz wächst. Seit 2010 ist der Anteil asiatischer Biosimilar-Produzenten massiv angestiegen.

Ein Trend, der sich verstärken könnte. Denn die automatische Substitution von Biopharmazeutika begünstigt vor allem chinesische Produktionsstätten. Das kann zu weiterer Abwanderung führen.

Vorherige Grafiken finden Sie hier

Themen

“Wir können nicht alle Kassenschlager nachbauen”

Stephan Eder ist Westeuropa-Chef von STADA und Kenner des Biosimilar-Geschäfts. Im Interview spricht er über teure 

Entwicklungsverfahren, unsichere Marktbedingungen und warum es 2032 nicht mehr genug Biosimilars geben wird.

Dr. Stephan Eder: Insgesamt haben wir – in Zusammenarbeit mit unseren Entwicklungspartnern – sieben Biosimilars auf dem europäischen Markt und unsere Pipeline ist gut gefüllt. Vor kurzem haben wir erfolgreich ein Biosimilar für Ustekinumab auf den Markt gebracht.

Das ist ein Wirkstoff gegen Immunkrankheiten wie Schuppenflechte oder Morbus Crohn. Dadurch können viele Patientinnen und Patienten jetzt schneller die für sie notwendige Therapie erhalten. Gleichzeitig spart das Gesundheitssystem Geld im Vergleich zur Therapie mit dem Original-Medikament.

Was ist die Biosimilar-Lücke?

Wegen hoher Kosten und fehlender Planbarkeit stellen Hersteller nach Patentablauf keine Biosimilars her.

Deshalb bleiben die Original-Biopharmazeutika teuer.

Wichtige Einsparungen gehen verloren: Bis 2032 sind das 15 Milliarden Euro.

Fazit: Biosimilars sind kein Selbstläufer — es braucht Anreize!

Die Studie zur Biosimilar-Lücke gibt es hier.

Dr. Stephan Eder: Wir schauen uns jedes ablaufende Patent genau an. Biosimilars sind bei großer Konkurrenz am Markt teilweise bis zu 80 Prozent günstiger als das Original – das ja in seiner patentgeschützten Zeit keine Wettbewerber hat und entsprechend hohe Preise nehmen kann. Gleichzeitig ist die Entwicklung von Biosimilars komplex und teuer. Wir reden hier von fünf bis sieben Jahren Entwicklungszeit und, je nach Wirkstoff, von Kosten zwischen 150 bis 250 Millionen Euro. Das ist kein Selbstläufer, sondern das muss man sich als Firma genau überlegen. Zumal es viele Unsicherheiten gibt, selbst wenn die Entwicklung klappt.

Dr. Stephan Eder

…ist seit 2020 Executive Vice President (EVP) für Westeuropa und Deutschland bei STADA. Von 2017 bis 2020 war er Country Head von Sandoz Deutschland und CEO der Hexal AG. Zuvor hatte er verschiedene Führungspositionen bei Sandoz und Novartis inne.

Dr. Stephan Eder: Insgesamt ist es so: Je kleiner der erwartete Umsatz, desto eher überlege ich als Unternehmen, ob ich das Produkt überhaupt entwickeln soll. Diese Logik sollte allen Beteiligten klar sein.

Jeder Markt in Europa ist etwas anders. Es sind viele Annahmen zu treffen. Man hat als Unternehmen nicht überall vollständige Informationen, beispielsweise über das Umfeld an Wettbewerbern oder Ausschreibungs-Logiken, die über die Marktteilnahme entscheiden. Manche Länder ermöglichen exklusive Verträge mit einzelnen Firmen, die dann den ganzen Markt beliefern. Bei diesen Ausschreibungen dominiert der Preis als Kriterium für den Zuschlag.

Der billigste Anbieter gewinnt. Darauf muss man sich einlassen wollen bzw. können. Typischerweise sind unterschiedliche Aspekte von Originalprodukten durch einzelne Patente geschützt. Auch das kann zu Unsicherheiten bei der Einführung beitragen.

Dr. Stephan Eder: Korrekt. Wenn Anreize fehlen, Biosimilars zu entwickeln, kostet das die europäischen Gesundheitssysteme richtig Geld. Die besagte IQVIA-Studie beziffert die Summe aus den entgangenen Einsparmöglichkeiten auf 15 Milliarden Euro, weil ohne Biosimilars weiter die teuren Originale verordnet werden müssen.

Das ist nur der finanzielle Aspekt. Hinzu kommt natürlich, dass dann auch viel weniger Menschen die für sie richtige Therapie erhalten.

Was sind nochmal Biopharmazeutika?

Biopharmazeutika sind eine relativ neue Art von Arzneimitteln. Anders als ihre chemischen Pendants entstehen sie aus lebenden Zellen. Man nennt sie deshalb auch „biologische Medikamente“. Sie sind hochkomplex und wirken sehr erfolgreich gegen Krankheiten, die lange als schwer behandelbar galten, beispielsweise Rheuma oder Schuppenflechte.

Und was sind Biosimilars?

Weil Biopharmazeutika so schwierig herzustellen sind, ist die Therapie oft sehr teuer – zumindest während der Zeit des Patentschutzes. Lief dieser ab, standen zuletzt in der Regel günstigere Nachahmer-Produkte parat, die sogenannten Biosimilars. Diese wirken sehr ähnlich und sind genauso sicher. Sie sind aber durch den Wettbewerb meist günstiger als die Original-Produkte. So sorgen sie nicht nur für Einsparungen, sondern auch dafür, dass Menschen versorgt werden, die sonst lange auf eine Therapie mit einem Original-Biopharmazeutikum hätten warten müssen.

Dr. Stephan Eder: Der Biosimilar-Markt in Deutschland funktioniert noch gut und ist für uns zweifelsfrei der wichtigste. Noch. Denn auch hier gibt es Tendenzen, welche die Entwicklung von Biosimilars aus wirtschaftlicher Sicht noch weiter erschweren. Klar ist: Wir liefern mit unserem Produkt auch ein Werteversprechen. Das steht für Qualität, Sicherheit und quasi garantierte Lieferung.

Doch die Politik möchte durch immer mehr Regulation um jeden Preis Geld sparen – etwa durch die „automatische Substitution“ von Biopharmazeutika. Diese Regelung gilt ja in Deutschland schon für einen kleinen Teil der Biopharmazeutika und macht bei Krebs-Infusionen exklusive Krankenkassen-Ausschreibungen möglich, die den Preis enorm drücken können.

Automatische Substitution? Schnell erklärt!

Dr. Stephan Eder: Mit der automatischen Substitution setzt die Politik viel aufs Spiel: Zum einen riskiert sie, dass Unternehmen nicht mehr in Deutschland und Europa entwickeln und produzieren. Das passiert dann in Asien, vor allem in China. Denn dort wird die Biotechnologie gezielt gefördert – auch um strategische Abhängigkeiten zu schüren. Und das ergibt Probleme, wie man sie heute schmerzhaft bei Generika sieht – Stichwort Herstellerkonzentration und Lieferengpässe.

Und zum anderen riskiert sie, dass wir vor den Investitionen zurückschrecken und einzelne Biosimilars gar nicht mehr auf den Markt bringen – wie die besagte Studie zeigt.

Dr. Stephan Eder: In den skandinavischen Ländern finden sich neue Ansätze und mittlerweile gute Beispiele. Norwegische Krankenkassen bewerten in Ausschreibungen die Einhaltung von nachhaltigen und ethischen Kriterien höher als den alleinigen Preis. Diese Erkenntnis kam allerdings nicht über Nacht. Zuvor gab es Ausschreibungen mit 70 bis 90 Prozent niedrigeren Preisen im Vergleich zum Original-Biopharmazeutikum — aber das hat dann am Ende nicht mehr funktioniert.

Alle Antworten zu Biopharmazeutika

Ob bei Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose — Biopharmazeutika bieten neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen bieten. Nach Patentablauf können verschiedene Hersteller Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen: die Biosimilars.

Zum FAQ

Was macht die Herstellung komplex?

Biopharmazeutika werden in lebenden Organismen erzeugt — etwa in gentechnisch veränderten Säugetierzellen. Anders als chemisch-synthetische Wirkstoffe bestehen sie aus Tausenden Atomen.

Mehr Infos
August 2024

Biosimilar-Markt: Bereits fast vollständig reguliert

Graphic of the month

Über 9 von 10 Biosimilars in Deutschland sind unter Rabattvertrag. Wird der Kostendruck politisch noch weiter verschärft, befeuert das bei den Biosimilars eine ähnliche Entwicklung wie bei den Generika – hin zu Abwanderung und Lieferengpässen. Weitere Eingriffe wie die automatische Substitution sind schlicht unnötig – und werden zum Risiko für die Versorgungssicherheit.

Vorherige Grafiken finden Sie hier

Presse

Hersteller warnen vor Doppelbelastung

  • Der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband haben sich auf eine Umsetzung zur G‑BA-Regelung der Biosimilar-Substitution geeinigt.
  • Die Einigung regelt zum 1. Juni 2024 die Umsetzung des G‑BA Beschlusses zum Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Fertigarzneimitteln durch Apotheken bei parenteralen Zubereitungen zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung.
  • Hersteller von Biosimilars warnen vor unfairer Doppelrabattierung und damit einhergehenden Gefahren für den Standort.

Was ist passiert?

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G‑BA) hatte mit seinem Beschluss zum automatischen Austausch von Biologika bei parenteralen Zubereitungen im Sommer 2023 erhebliche Diskussionen ausgelöst, denn die im Beschluss enthaltenen Regelungen sind sehr vage gehalten.

Wie die genaue Umsetzung in der Apotheken-Praxis funktionieren soll, war deshalb Gegenstand zahlreicher Spekulationen – und der Verhandlungen zwischen dem DAV und GKV-SV. Diese konnten sich nun einigen.

Wie soll der automatische Austausch in der Praxis funktionieren?

Hier kommt die sogenannten Hilfstaxe ins Spiel. Durch sie werden Abschläge geregelt und Preise gesenkt. Die vom G‑BA definierten Biologika beziehen sich auf sechs Wirkstoffe, deren Preise gedeckelt sind. Bei der Abgabe eines solchen Biologikums schaut der Apotheker in die Hilfstaxe und erfährt, was er der GKV in Rechnung stellen kann. Auf diese Weise sollen höchstmögliche Einsparungen erzielt werden.

Die Hilfstaxe gibt dem Apotheker nämlich nicht vor, welches Arzneimittel aus einer bestimmten Wirkstoffgruppe abgeben werden soll. Der Apotheker wird also versuchen, bei den Herstellern immer ein noch preisgünstigeres Präparat einzukaufen, was den Druck auf die Unternehmen weiter erhöht.

Wo ist das Problem?

Wie Generika werden nun auch Biosimilars einem extremen Kostendruck ausgesetzt. Denn: Laut Gesetz könnten nun die einzelnen Krankenkassen noch zusätzlich exklusive Rabattverträge ausschreiben, so wie sie es aktuell z. B. in Bayern tun. Würden diese noch hinzukommen, wäre das für die Biosimilars produzierenden Unternehmen eine unzumutbare Doppelbelastung. Denn dann wären zwei Mal Preisnachlässe zu gewähren, einmal über die Hilfstaxe und zusätzlich, über die Rabattverträge, an die Krankenkassen.

Eine gefährliche Entwicklung, die an die Kaskade der ungebremsten Kostensenkungs-Mechanismen bei den Generika erinnert.

Wie bewerten die Hersteller von Biosimilars diese Entwicklung?

„Das Experiment der automatischen Substitution hat mehr Risiken als die offenbar zusätzlich erwarteten Einsparungen rechtfertigen“, sagt Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars. „Wirtschaftlichkeit um jeden Preis kostet uns am Ende die Vielfalt bei den Biosimilar-Unternehmen, die ohnehin begrenzt ist.“

„Massiver Kostendruck führt immer zu Verengungen in der Produktion und in den Lieferketten. Am Ende leidet durch das Ausquetschen der letzten Reserven an Wirtschaftlichkeit vor allem die Versorgungssicherheit.“

Biosimilars haben bereits oft eine hohe Marktdurchdringung von bis zu 90 Prozent und sorgen für Einsparungen in Milliardenhöhe. Zudem gibt es für sie bereits Rabattverträge. Jetzt den Preisdruck ungesteuert und ungenau weiter zu verstärken, gefährdet sehenden Auges den (noch) gut funktionierenden Biosimilars-Markt mit seinem hohen Grad an gesundem Wettbewerb.

Die falschen Entwicklungen bei Generika versucht die Politik gerade mühsam zurückzudrehen. Bei Biosimilars begibt sie sich auf genau den gleichen Irrweg.

Mehr erfahren: Alle Hintergrund-Informationen

Was genau ändert sich zum 01. Juni? Wie wird der G‑BA Beschluss in der Praxis umgesetzt? Welche Fragen bleiben offen? Antworten finden Sie hier: Link.

Pressefotos zum Download finden Sie hier: Link

30.05.2024

Themen

Q&A: Wie funktioniert der automatische Austausch von biologischen Arzneimitteln ab dem 1. Juni 2024?

Der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband haben sich geeinigt. Sie hatten verhandelt, wie der an einigen Stellen vage G‑BA Beschluss zur automatischen Substitution von Biologika (Originale und Biosimilars) vom Sommer 2023 in der Apotheken-Praxis umzusetzen sei.

Es gab einige Fallstricke und es bleiben Fragezeichen. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen, was ab dem 1. Juni 2024 gilt, wo noch Unklarheiten herrschen – und welche Risiken das alles für die Versorgung birgt.

Stand: 30. Mai 2024

Um welchen Beschluss geht es nochmal?

Es geht um die Umsetzung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA) zum „Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Fertigarzneimitteln durch Apotheken bei parenteralen Zubereitungen zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung“ (hier nachzulesen). Mit diesem Beschluss hat der G‑BA seinen gesetzlichen Auftrag aus dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)  (zumindest formal) erfüllt und Regelungen für den Austausch von biologisch hergestellten Fertigarzneimitteln (Originale und Biosimilars) vorgelegt, die zur parenteralen Anwendung direkt durch Ärzt:innen an Patient:innen verwendet werden. Zunächst gelten diese Vorgaben nur für Apotheken mit Steril-Laboren.

Was heißt das genau?

Es geht um in Apotheken patientenindividuell zubereitete Infusionen, die biotechnologisch hergestellte Arzneimittel enthalten und in Arztpraxen etwa an Krebspatient:innen verabreicht werden. Seit dem 15. März 2024 dürfen und sollen Apotheken das verschriebene biologische Arzneimittel durch ein kostengünstiges Biosimilar ersetzen. Dazu gibt es eine Austauschliste des G‑BA (alles hier nachzulesen).

Was hatte der G‑BA geregelt?

Die Arzneimittel-Richtlinie des G‑BA legt in einem neuen Paragrafen (§ 40b) fest, dass ein biologisches Arzneimittel vorrangig durch ein Arzneimittel ersetzt werden soll, für das ein spezieller Rabattvertrag besteht (§ 130a Abs. 8c SGB V) – also ein von den Krankenkassen landesweit gemeinsam geschlossener Rabattvertrag. Diese spezielle legislative Konstruktion gilt für onkologische Fertigarzneimittel zur parenteralen Zubereitung, also in Apotheken zubereitete Krebs-Infusionen.

Allerdings hat der G‑BA auch den Austausch außerhalb von Rabattverträgen geregelt, was über sein gesetzliches Mandat hinausging und vor allem Probleme in der Umsetzung schafft, weil es für die parenteral verabreichten Arzneimittel keine „Vorfahrtsregel“ in der Apotheke gibt – so wie es z. B. bei den herkömmlichen Generikarabattverträgen der Fall ist.

Funktioniert das wie vom G‑BA angedacht?

Eigentlich nicht. Denn bisher gibt es keine solchen einheitlichen und gemeinsamen Rabattverträge. Stattdessen nutzten die Kassen häufig Open-House-Verträge als Sparinstrument für biologische Krebsarzneimittel.

Wenn es aber keine Rabattverträge gibt, wie soll der Austausch dann erfolgen?

Hier kommt die sogenannten Hilfstaxe ins Spiel. Durch sie werden Abschläge geregelt und Preise gesenkt. Die vom G‑BA definierten Biologika beziehen sich auf sechs Wirkstoffe, deren Preise gedeckelt sind. Die Details sind in Anlage 3 der Hilfstaxe geregelt.

Bei der Abgabe eines solchen Biologikums schaut der Apotheker in die Hilfstaxe und erfährt, was er der Krankenkasse in Rechnung stellen kann. Auf diese Weise sollen höchstmögliche Einsparungen erzielt werden. Die Hilfstaxe gibt dem Apotheker aber nicht vor, welches Arzneimittel aus einer bestimmten Wirkstoffgruppe abgeben werden soll. Der Apotheker wird also versuchen, bei den Herstellern immer ein noch preisgünstigeres Präparat einzukaufen, was den Druck auf die Unternehmen weiter erhöht.

Unter diesen Wirkstoffen befinden sich auch Nicht-Onkologika. Für diese kämen grundsätzlich auch die Regelung durch die üblichen Rabattvertragskonstruktionen infrage. Das Problem der Doppelbelastung durch Hilfstaxe und Rabattvertrag würde sich auch hier stellen. Das Ausmaß des Einflusses dieser Verträge ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzusehen.

Warum ist die automatische Substitution gefährlich?

Die automatische Substitution soll noch höhere Einsparungen bringen. Die damit losgetretene Kaskade der ungebremsten Kostensenkungs-Mechanismen erinnert an die Entwicklung bei Generika. Die Folge der automatischen Substitution bei Generika sind immer wieder Lieferengpässe, die sich zuweilen bereits zu Versorgungsengpässen ausgeweitet haben.

Den Preis für die niedrigen Preise von Generika zahlen vor allem die Patientinnen und Patienten, die wichtige Medikamente mit Verzögerung oder gar nicht erhalten. Mit der automatischen Substitution von Biologika beschreitet man jetzt ungeachtet dieser Erfahrungen den gleichen Irrweg.

Mehr Informationen, warum die automatische Substitution gefährlich ist, lesen Sie hier.

Wie blicken die Politik und andere Stakeholder auf die automatische Substitution?

Auf dem Symposium der AG Pro Biosimilars im März 2024 gaben einige der wichtigsten Stakeholder ihre Einschätzungen ab:

Thomas Müller, Leiter der Abteilung 1 „Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie“ im Bundesministerium für Gesundheit, betonte, dass derzeit nur bestimmte Biosimilars vom Austausch betroffen sind. Er sieht im Biosimilar-Markt noch nicht ausgeschöpftes Sparpotenzial und kündigte an, dass die Hilfstaxe gestärkt werden solle, um Wettbewerb zu ermöglichen. Zudem fokussiere sich die deutsche Pharmastrategie momentan auf Innovationen, nicht auf Biosimilars.

Birgit Heltweg, BARMER, kritisierte die Hilfstaxe und befürwortete stattdessen Ausschreibungen, die alle Rabatte den Krankenkassen zugutekommen lassen sollen. Es sei außerdem nicht die Aufgabe von Krankenkassen durch höhere Preise dafür zu sorgen, dass die Produktion von Biosimilars in Deutschland oder der EU bleibt.

Stefan Fink, Deutscher Apotheker Verbands (DAV), sah noch offene Fragen zum Preisanker und dem Umgang mit Lieferengpässen. Exklusive Rabattverträge sehe er kritisch, denn diese stehen der Resilienz des Standorts entgegen.

Christiane Müller, Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker e.V. (VZA), forderte mehr Transparenz über die tatsächlichen Einkaufspreise. Es sei aber ein Erfolg, dass ein preisgünstiges Präparat abgegeben werden könne – also nicht nur das „preisgünstigste“. So entstehe auch Wettbewerb, und zwar ohne den Kellertreppeneffekt von Ausschreibungen. Was genau „preisgünstig“ ist, sei aber noch zu definieren.

Christopher Kirsch, Sandoz/Hexal, kritisiert den G‑BA-Beschluss als handwerklich ungenau und warnt vor den Risiken weiterer Preiswettbewerbe, da sie zu Lieferengpässen führen können. Es werden bereits Rabatte in Höhe von ca. 80 Prozent gewährt – noch mehr Preiswettbewerb schade dem Standort Deutschland/Europa. Es könne nicht das Ziel der deutschen Politik sein, die europäische Standort-Politik zu unterlaufen. Rein ökonomisch sei es zwingend, dass der günstigste Anbieter nicht in Europa sitzen könne. Auch die Kombination von Rabattverträgen und der Hilfstaxe ist voller ungeklärter Widersprüche. Zudem sei es von äußerster Wichtigkeit, dass die Beschlüsse zum Austausch nicht auf weitere Bereiche ausgeweitet werden.

Wie steht die AG Pro Biosimilars zu dem Thema?

Das System der Biosimilars funktioniert: Es gibt maximale Versorgungssicherheit und gleichzeitig sorgen sie für massive Einsparungen. Der durch sie entstandene Wettbewerb führt dazu, dass die Preise der Originale nach Patentablauf sinken. Biosimilars kommen immer schneller in die Versorgung und sind fast alle unter Rabattvertrag.

Diese Balance greift die automatische Substitution an. Um noch höhere Einsparungen zu erzielen, wird die Versorgungssicherheit aufs Spiel gesetzt. Dabei sollte das Beispiel der Generika eigentlich als Warnung dienen.

Kann ich mich noch weiter informieren?

Die Folgen dieses G‑BA-Beschlusses haben wir auf unserem Symposium im März 2024 diskutiert. Sie möchten Sich noch umfassender informieren? Hier geht’s zur Aufzeichnung.

Warum es die automatische Substitution nicht braucht

Keinen Nutzen, hohe Risiken: Mehr Einsparungen sind bei Biosimilars nur auf Kosten der Versorgungssicherheit zu haben.

Lesen Sie mehr
Presse

Walter Röhrer (Biogen) als Vorsitzender der AG Pro Biosimilars bestätigt

  • Die AG Pro Biosimilars hat ihren bisherigen Vorsitzenden Walter Röhrer, Associate Director Market Access Biosimilars, Biogen GmbH, erneut zum Vorsitzenden bestellt.
  • Dr. Christopher Kirsch, Head Market Access, Sandoz/Hexal AG, wurde als der stellvertretende Vorsitzende bestätigt.

„Ich freue mich über das ausgesprochene Vertrauen der AG Pro Biosimilars“, sagt Walter Röhrer. „Biosimilars sind ein Schlüssel zur nachhaltigen Gestaltung unseres Gesundheitssystems. Sie sorgen seit Jahren für Wettbewerb und Einsparungen zugunsten der GKV in Milliardenhöhe.“

„Doch Wirtschaftlichkeit darf nicht das allein entscheidende Kriterium sein“, betont Röhrer. „Noch haben wir eine sehr gut diversifizierte globale Produktion mit einem starken Standort Europa. Diese Vielfalt ist ein Garant für resiliente Lieferketten und eine verlässliche Versorgung. Sie sichert den Zugang zu hochwertigen Therapien für Patientinnen und Patienten.

Ich werde auch in Zukunft mit Freude und Engagement die Vorteile dieser besonderen Arzneimittelgruppe betonen und vor politischen Irrwegen warnen, welche die Spielregeln für die herstellenden Unternehmen zu verschlechtern drohen.“

Der stellvertretende Vorsitzende Dr. Christopher Kirsch, Head Market Access, Sandoz/Hexal AG, ergänzt:

„Die Vorteile von Biosimilars liegen auf der Hand und ihr Beitrag für eine Entlastung des Gesundheitssystems ist enorm. Doch die Diskussion um die automatische Substitution zeigt, dass wir vor großen Herausforderungen stehen. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass die Politik nicht die gleichen Fehler wie bei den Generika begeht.

Biosimilars sind Produkte mit hochkomplexen und innovativen Herstellungsverfahren. Die Entwicklung und Produktion kostet mindestens 30-mal so viel wie die von Generika. Der Preis für das Heben der letzten Wirtschaftlichkeitsreserven ist hoch und geht zwangsläufig zulasten der Versorgungssicherheit.“

27.03.2024

Februar 2024

Relevanz verdoppelt

Graphic of the month

Biopharmazeutika: Starkes Wachstum zeigt große Bedeutung

Die Relevanz von biologischen Arzneimitteln hat sich in 17 Jahren mehr als verdoppelt. Heute entfällt über ein Drittel des Bruttoumsatzes des Pharmamarkts auf sie. Die patentgeschützten Biologika von heute sind die Biosimilars von morgen. Auf genau die kommt es an, wenn wir die Versorgung mit komplexen Therapien bezahlbar halten wollen.

Vorherige Grafiken

Share On Facebook
Share On Linkedin
Contact us