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Komplexes Puzzle

Nach Patentablauf dürfen Medikamente nachgebildet werden. Doch das ist gar nicht so einfach, besonders, wenn es um biologische Arzneimittel geht. Diese bestehen aus hunderten von Protein-Bausteinen

 

und die Rezeptur gibt es nicht im Internet. Wie sie beim Biosimilar-Entwickler Formycon ein Arzneimittel erst in seine Einzelteile zerlegen, diese dann neu zusammenfügen – und damit die Gesundheitssysteme entlasten.

Im hellen Licht ihres Münchner Labors blicken Menschen in weißen Kitteln durch Schutzbrillen auf Monitore mit komplizierten Graphen. Eine von ihnen hält ein kleines Röhrchen in den Lichtkegel der Laborlampe: „An diesen paar Tropfen“, sagt sie stolz, „haben wir etwa sieben Jahre gearbeitet.“

Die Biochemikerin Dr. Christina Wolf (43) leitet ein Team aus Wissenschaftler:innen der Molekularbiologie, Biotechnologie, Proteinchemie und Pharmazie. Sie alle haben bei Formycon ein gemeinsames Ziel: Biosimilars entwickeln. Dafür aber müssen sie hochkomplexe Moleküle nachbilden – und zwar ohne Rezeptur oder Anleitung.

Biosimilars können – ähnlich wie Generika – nach Patentablauf auf den Markt kommen. Aber anders als Generika werden Biosimilars nicht chemisch hergestellt. Das „Bio“ im Namen verrät ihre Besonderheit. „Es sind Arzneimittel, die in lebenden Zellen hergestellt werden“, sagt Wolf. Sie helfen gegen schwere Erkrankungen, wie Krebs, Morbus Crohn oder altersbedingte Augenkrankheiten.

Die Firma Formycon in der Nähe von München wurde 2012 von zwei Pharma-Managern gegründet. Wolf ist seit den Anfängen dabei. Damals war sie eine von knapp 40 Mitarbeitenden. Heute sind hier 250 Menschen beschäftigt. Was als Startup anfing, ist mittlerweile ein Unternehmen, das im SDAX und TecDAX der Deutschen Börse gelistet ist. Dort ist es fast eine Milliarde Euro wert.

Das Konzept der Formycon: Fokussieren! Viele Pharmafirmen stellen sich breit auf und haben diverse Medikamente im Portfolio, etwa Generika, patentgeschützte Produkte und nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, die in Apotheken zu kaufen sind. Nicht so Formycon. Ihr ganzes Wirken ist ausschließlich auf Biosimilars ausgerichtet. In zwölf Jahren haben sie hier drei Biosimilars entwickelt und bis zur Marktzulassung gebracht. Weitere sind geplant und aktuell in verschiedenen Entwicklungsstadien.

„Bevor wir Biosimilars entwickeln können, müssen wir verstehen, was wir überhaupt nachbauen wollen“, sagt Wolf. „Dafür untersuchen wir die molekularen Bausteine des sogenannten Referenzarzneimittels und schauen: Woraus bestehen diese und auf welche Weise sind sie miteinander verknüpft?“ Das ist extrem wichtig, denn die Anordnung und die Eigenschaften der Bausteine bestimmen maßgeblich, wie wirksam und sicher das Arzneimittel ist. „Weil aber jeder biologische Wirkstoff ein bisschen anders ist, gibt es nicht die eine Blaupause“, so Wolf weiter. „Wir müssen jeden Wirkstoff individuell analysieren und unsere Herstellprozesse immer wieder entsprechend anpassen.“

Ein Biosimilar entwickeln – das kann man sich wie ein komplexes Puzzle vorstellen. Nur dass nicht sofort klar ist, welches Bild es darstellt. Erst nachdem es auseinandergenommen und die einzelnen Teile präzise analysiert sind, erkennen die Wissenschaftler, was sie sehen – und aus was für tausenden unterschiedlichen Elementen es besteht. „Letztlich wollen wir wissen: Wie hält das Puzzle zusammen und wo sind vielleicht Teile austauschbar – ohne dass das die Wirksamkeit und Stabilität gefährdet?“

Heraus kommt am Ende ein Antikörper. Das ist ein Protein, das vom Immunsystem eingesetzt wird, um Bakterien und Viren zu neutralisieren. Gentechnisch modifiziert und als Arzneimittel eingesetzt können sich Antikörper auf Krebszellen setzen, um diese für das Immunsystem erkennbar zu machen, welches sie daraufhin angreift und abtötet.

Dabei ist ein Antikörper ein komplexes Gebilde. „Alltägliche Medikamente, wie etwa Aspirin, sind relativ einfach herzustellen“, sagt Dr. Wolf. „Die bestehen aus wenigen chemischen Molekülen – biologische Arzneimittel hingegen aus tausendfach gefalteten Protein-Ketten.“ Die Herstellung von Generika und Biosimilars lasse sich deshalb kaum vergleichen. „Es ist kein Unterschied wie zwischen Äpfeln und Birnen, sondern eher wie zwischen einem einzelnen Apfel und einem ganzen Birnbaum, samt seiner verflochtenen Wurzeln im Erdreich“, erklärt Wolf.

Video zeigt unterschiedliche Komplexität: Generika vs. Biosimilars

Der ganze Prozess – vom Einkauf des Referenzarzneimittels, über die Entwicklung des Biosimilars bis zu dessen Anwendung beim Patienten – kann acht bis zehn Jahre dauern und bis zu 300 Millionen Euro kosten. Viel Aufwand, der sich lohnt. Der globale Markt für Biosimilars ist seit Jahren auf Wachstumskurs. In den nächsten Jahren laufen zahlreiche weitere umsatzstarke biologische Arzneimittel aus dem Patentschutz.

Biosimilars sind auch deshalb auf dem Vormarsch, weil sie nicht nur die Verfügbarkeit der Arzneimittel verbessern, sondern gleichzeitig die Gesundheitssysteme entlasten: Denn einmal zugelassen, sind sie deutlich günstiger im Vergleich zur Therapie mit dem Referenzarzneimittel.

So kosten beispielsweise die Biosimilars des einst umsatzstärksten Medikaments Humira® mit dem Wirkstoff: Adalimumab (Jahresumsatz: ca. 20 Milliarden Euro) in Deutschland inzwischen 44 Prozent weniger als die Krankenkassen vor dem Patentablauf zahlen mussten. Eine massive Entlastung für das deutsche Gesundheitssystem: 2023 wurden insgesamt knapp zwei Milliarden Euro eingespart – einfach, indem Biosimilars anstelle von Referenzarzneimitteln verordnet wurden.

Die Aussicht, mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems zu leisten und Patient:innen zu helfen, treibt das Formycon-Team weiter an. Nach den drei Wirkstoffen, zu denen das Unternehmen bereits marktreife Biosimilars entwickeln konnte, hat man hier neue, große Pläne. „Wir arbeiten derzeit an weiteren Antikörpern zur Behandlung schwerwiegender Erkrankungen“, sagt Wolf und ist zuversichtlich, dass sie irgendwann auch diese neuen Puzzles auseinandergebaut und neu zusammengesetzt haben wird.

Europa – ein starker Standort für Biosimilars

Kein anderes Segment des gesamten Pharmamarkts wächst so schnell wie das der Biosimilars. Machte deren Umsatz 2023 weltweit noch 30 Milliarden US-Dollar aus, gehen Prognosen des Online-Portals Statista von knapp 130 Milliarden US-Dollar im Jahr 2032 aus.

Dabei ist Europa der führende Kontinent für die Entwicklung und Produktion von Biosimilars – und eine herausragende Rolle spielt Deutschland. Inmitten einer allgemeinen Wirtschaftskrise ist die Biosimilar-Branche eine der wenigen, die hierzulande Wachstum generiert.

Fehlende Anreize zur Entwicklung von Biosimilars könnten sonst zu einer kritischen Lücke führen. Diese könnte nicht nur die Gesundheitssysteme erheblich finanziell belasten, sondern auch vielen Patienten den Zugang zu lebenswichtigen Therapien verwehren.

Um den Standort Europa zu stärken, darf nicht allein ein möglichst niedriger Preis ausschlaggebend sein, sondern auch die Qualität, Sicherheit und die Robustheit der Lieferketten. So kann Europa sich gegenüber der globalen Konkurrenz gut positionieren.

Alle Antworten zu Biopharmazeutika

Ob bei Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose — Biopharmazeutika bieten neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen bieten. Nach Patentablauf können verschiedene Hersteller Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen: die Biosimilars.

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Was macht die Herstellung komplex?

Biopharmazeutika werden in lebenden Organismen erzeugt — etwa in gentechnisch veränderten Säugetierzellen. Anders als chemisch-synthetische Wirkstoffe bestehen sie aus Tausenden Atomen.

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“Wir können nicht alle Kassenschlager nachbauen”

Stephan Eder ist Westeuropa-Chef von STADA und Kenner des Biosimilar-Geschäfts. Im Interview spricht er über teure 

Entwicklungsverfahren, unsichere Marktbedingungen und warum es 2032 nicht mehr genug Biosimilars geben wird.

Dr. Stephan Eder: Insgesamt haben wir – in Zusammenarbeit mit unseren Entwicklungspartnern – sieben Biosimilars auf dem europäischen Markt und unsere Pipeline ist gut gefüllt. Vor kurzem haben wir erfolgreich ein Biosimilar für Ustekinumab auf den Markt gebracht.

Das ist ein Wirkstoff gegen Immunkrankheiten wie Schuppenflechte oder Morbus Crohn. Dadurch können viele Patientinnen und Patienten jetzt schneller die für sie notwendige Therapie erhalten. Gleichzeitig spart das Gesundheitssystem Geld im Vergleich zur Therapie mit dem Original-Medikament.

Was ist die Biosimilar-Lücke?

Wegen hoher Kosten und fehlender Planbarkeit stellen Hersteller nach Patentablauf keine Biosimilars her.

Deshalb bleiben die Original-Biopharmazeutika teuer.

Wichtige Einsparungen gehen verloren: Bis 2032 sind das 15 Milliarden Euro.

Fazit: Biosimilars sind kein Selbstläufer — es braucht Anreize!

Die Studie zur Biosimilar-Lücke gibt es hier.

Dr. Stephan Eder: Wir schauen uns jedes ablaufende Patent genau an. Biosimilars sind bei großer Konkurrenz am Markt teilweise bis zu 80 Prozent günstiger als das Original – das ja in seiner patentgeschützten Zeit keine Wettbewerber hat und entsprechend hohe Preise nehmen kann. Gleichzeitig ist die Entwicklung von Biosimilars komplex und teuer. Wir reden hier von fünf bis sieben Jahren Entwicklungszeit und, je nach Wirkstoff, von Kosten zwischen 150 bis 250 Millionen Euro. Das ist kein Selbstläufer, sondern das muss man sich als Firma genau überlegen. Zumal es viele Unsicherheiten gibt, selbst wenn die Entwicklung klappt.

Dr. Stephan Eder

…ist seit 2020 Executive Vice President (EVP) für Westeuropa und Deutschland bei STADA. Von 2017 bis 2020 war er Country Head von Sandoz Deutschland und CEO der Hexal AG. Zuvor hatte er verschiedene Führungspositionen bei Sandoz und Novartis inne.

Dr. Stephan Eder: Insgesamt ist es so: Je kleiner der erwartete Umsatz, desto eher überlege ich als Unternehmen, ob ich das Produkt überhaupt entwickeln soll. Diese Logik sollte allen Beteiligten klar sein.

Jeder Markt in Europa ist etwas anders. Es sind viele Annahmen zu treffen. Man hat als Unternehmen nicht überall vollständige Informationen, beispielsweise über das Umfeld an Wettbewerbern oder Ausschreibungs-Logiken, die über die Marktteilnahme entscheiden. Manche Länder ermöglichen exklusive Verträge mit einzelnen Firmen, die dann den ganzen Markt beliefern. Bei diesen Ausschreibungen dominiert der Preis als Kriterium für den Zuschlag.

Der billigste Anbieter gewinnt. Darauf muss man sich einlassen wollen bzw. können. Typischerweise sind unterschiedliche Aspekte von Originalprodukten durch einzelne Patente geschützt. Auch das kann zu Unsicherheiten bei der Einführung beitragen.

Dr. Stephan Eder: Korrekt. Wenn Anreize fehlen, Biosimilars zu entwickeln, kostet das die europäischen Gesundheitssysteme richtig Geld. Die besagte IQVIA-Studie beziffert die Summe aus den entgangenen Einsparmöglichkeiten auf 15 Milliarden Euro, weil ohne Biosimilars weiter die teuren Originale verordnet werden müssen.

Das ist nur der finanzielle Aspekt. Hinzu kommt natürlich, dass dann auch viel weniger Menschen die für sie richtige Therapie erhalten.

Was sind nochmal Biopharmazeutika?

Biopharmazeutika sind eine relativ neue Art von Arzneimitteln. Anders als ihre chemischen Pendants entstehen sie aus lebenden Zellen. Man nennt sie deshalb auch „biologische Medikamente“. Sie sind hochkomplex und wirken sehr erfolgreich gegen Krankheiten, die lange als schwer behandelbar galten, beispielsweise Rheuma oder Schuppenflechte.

Und was sind Biosimilars?

Weil Biopharmazeutika so schwierig herzustellen sind, ist die Therapie oft sehr teuer – zumindest während der Zeit des Patentschutzes. Lief dieser ab, standen zuletzt in der Regel günstigere Nachahmer-Produkte parat, die sogenannten Biosimilars. Diese wirken sehr ähnlich und sind genauso sicher. Sie sind aber durch den Wettbewerb meist günstiger als die Original-Produkte. So sorgen sie nicht nur für Einsparungen, sondern auch dafür, dass Menschen versorgt werden, die sonst lange auf eine Therapie mit einem Original-Biopharmazeutikum hätten warten müssen.

Dr. Stephan Eder: Der Biosimilar-Markt in Deutschland funktioniert noch gut und ist für uns zweifelsfrei der wichtigste. Noch. Denn auch hier gibt es Tendenzen, welche die Entwicklung von Biosimilars aus wirtschaftlicher Sicht noch weiter erschweren. Klar ist: Wir liefern mit unserem Produkt auch ein Werteversprechen. Das steht für Qualität, Sicherheit und quasi garantierte Lieferung.

Doch die Politik möchte durch immer mehr Regulation um jeden Preis Geld sparen – etwa durch die „automatische Substitution“ von Biopharmazeutika. Diese Regelung gilt ja in Deutschland schon für einen kleinen Teil der Biopharmazeutika und macht bei Krebs-Infusionen exklusive Krankenkassen-Ausschreibungen möglich, die den Preis enorm drücken können.

Automatische Substitution? Schnell erklärt!

Dr. Stephan Eder: Mit der automatischen Substitution setzt die Politik viel aufs Spiel: Zum einen riskiert sie, dass Unternehmen nicht mehr in Deutschland und Europa entwickeln und produzieren. Das passiert dann in Asien, vor allem in China. Denn dort wird die Biotechnologie gezielt gefördert – auch um strategische Abhängigkeiten zu schüren. Und das ergibt Probleme, wie man sie heute schmerzhaft bei Generika sieht – Stichwort Herstellerkonzentration und Lieferengpässe.

Und zum anderen riskiert sie, dass wir vor den Investitionen zurückschrecken und einzelne Biosimilars gar nicht mehr auf den Markt bringen – wie die besagte Studie zeigt.

Dr. Stephan Eder: In den skandinavischen Ländern finden sich neue Ansätze und mittlerweile gute Beispiele. Norwegische Krankenkassen bewerten in Ausschreibungen die Einhaltung von nachhaltigen und ethischen Kriterien höher als den alleinigen Preis. Diese Erkenntnis kam allerdings nicht über Nacht. Zuvor gab es Ausschreibungen mit 70 bis 90 Prozent niedrigeren Preisen im Vergleich zum Original-Biopharmazeutikum — aber das hat dann am Ende nicht mehr funktioniert.

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Ob bei Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose — Biopharmazeutika bieten neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen bieten. Nach Patentablauf können verschiedene Hersteller Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen: die Biosimilars.

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Biopharmazeutika werden in lebenden Organismen erzeugt — etwa in gentechnisch veränderten Säugetierzellen. Anders als chemisch-synthetische Wirkstoffe bestehen sie aus Tausenden Atomen.

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Diese 5 Punkte braucht es für einen starken Biosimilar-Standort

Über die Hälfte unserer Biosimilars stammen aus Europa. Insbesondere Deutschland ist für die Branche ein wichtiger Standort.

Doch immer mehr Hersteller produzieren in Asien. Dabei kann auch Deutschland Standort! Allerdings nur, solange diese fünf Punkte hier sitzen:

Konkurrenz belebt nicht nur das Geschäft: Sie schafft manchmal sogar erst die Basis dafür. Als Zentrum der Biotech-Branche gilt das „Bio-Dreieck“. Es zieht sich von Hessen über Süddeutschland nach Österreich und in die Schweiz. Hier gibt es einerseits international renommierte Universitäten und Hochschulen mit einem Fokus auf Chemie und Pharma, wie die TU München und die Uni Regensburg.

Andererseits sitzen hier etablierte Konzerne: Sanofi beispielsweise betreibt einen großen Chemiepark bei Frankfurt, Sandoz hat in Holzkirchen bei München ein neues Biosimilar-Entwicklungszentrum eröffnet und Roche betreibt im bayerischen Penzberg ein eigenes Zentrum für Biotechnologie. Als entsprechend eng gilt die Verzahnung zwischen Forschung und Wirtschaft, als gut die Infrastruktur. Und mit Deutschland liegt ein wichtiger Markt für die fertigen Produkte quasi direkt vor der Haustüre: In den letzten 12 Monaten wurden in Deutschland knapp 115 Millionen Tagesdosen von Biosimilars verordnet.

Standort Deutschland

Wo Biosimilars weltweit produziert werden – und wie wichtig Deutschland und das „Bio-Dreieck“ für die Branche sind.

Zur Studie

Auch auf die Nähe zu Universtäten und Hochschulen kommt es an: Hier werden hochqualifizierte Mitarbeiter:innen ausgebildet – in Zeiten des Fachkräftemangels ein großer Standortvorteil! Die Universitäten ziehen zudem ausländische Studierende an – und sorgen für ein Umfeld, in dem sich Start-ups entwickeln können.

Sichtbar ist das zum Beispiel in und um München. Als Vorbild gilt Micromet: Schon 1993 wurde das Biotechnologie-Unternehmen als Spin-off aus der Ludwig-Maximilians-Universität gegründet. Die Firma ist auf die Entwicklung neuer Krebsmedikamente spezialisiert. Zunächst kam sie, wie viele andere Start-ups aus diesem Bereich, im nahen Innovations- und Gründerzentrum Martinsried unter. Später wurde sie in Amgen eingegliedert. Ähnlich sieht es in der Region Regensburg aus. 2008 waren im dortigen Cluster für Biotechnologie, Pharma und Medizintechnik noch 40 Firmen gemeldet. 2022 waren es 66, mit zusammen mehreren Tausend Beschäftigten. 

Auch der deutsche Maschinenbau ist ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. „German Engineering“ ermöglicht im Bedarfsfall eine schnelle technische Unterstützung und Wartung, was für die Aufrechterhaltung einer effizienten Produktion unerlässlich ist.

Was sind Biopharmazeutika?

Ob bei Krebs, Rheuma oder Multipler Sklerose — Biopharmazeutika bieten neue Behandlungsmöglichkeiten bei schweren Erkrankungen bieten. Nach Patentablauf können verschiedene Hersteller Nachfolgeprodukte auf den Markt bringen: die Biosimilars.

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Biopharmazeutika werden in lebenden Organismen erzeugt — etwa in gentechnisch veränderten Säugetierzellen. Anders als chemisch-synthetische Wirkstoffe bestehen sie aus Tausenden Atomen.

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Deutschland und Europa bieten Unternehmen Planungssicherheit – so können die Hersteller auch ihr Engagement ausbauen.

Als gutes Beispiel dient STADA. Bereits 2007 brachte das Unternehmen mit dem Wirkstoff Epoetin Zeta (Epo) eines der weltweit ersten Biosimilars gegen Anämie – auch Blutarmut genannt – in Zusammenhang mit Chemotherapien und chronischen Nierenerkrankungen auf den deutschen Markt.

Über das Joint Venture Norbitec mit Sitz in Schleswig-Holstein produziert STADA jährlich mehrere Millionen Dosen dieser biologischen Arzneimittel – und exportiert sie in die ganze Welt. Dank einer aufwendigen Zertifizierung im Jahr 2023 sichert der Hersteller sogar die Versorgung der Patienten in den USA mit dem einzigen Epo-Biosimilar weltweit. Dieses Engagement erfordert Investitionen – und zeigt, dass ein nachhaltiger Zugang zu qualitativ hochwertigen Arzneimitteln ‚made in Germany‘ gelingen kann.

Ein anderes Beispiel ist Sandoz: Das Unternehmen steckt viel Geld in europäische Projekte. Seit November 2023 arbeitet am Standort Holzkirchen eine neue klinisch-technische-Entwicklungseinheit an Biosimilars. Hier hat Sandoz 25 Millionen Euro investiert. Außerdem entsteht im slowenischen Lendava eine Produktionsanlage für Biologika, Ende 2026 soll die erste Stufe der neuen Fabrik in Betrieb gehen.

In Lendava betreibt die Sandoz-Tochter Lek bereits ein Generika-Werk – und ein großes Lager, was die Grundvoraussetzung ist, um Kunden weltweit beliefern zu können. Die Kombination der beiden Werke an einem Ort könnte daher, so die Hoffnung bei Sandoz, zusätzliche Synergien freisetzen. Dazu investiert der Konzern 400 bis 500 Millionen Euro. So viel Geld hat noch nie ein Unternehmen für ein einzelnes Vorhaben in Slowenien lockergemacht. Weitere 90 Millionen Euro fließen in den Ausbau des Forschungsstandorts Ljubljana.

Biosimilar-Hersteller sind darauf angewiesen, dass sich ihre Investitionen refinanzieren. „Die Entscheidungen, die jetzt in Unternehmen getroffen werden, sehen wir erst in drei, in fünf, in zehn Jahren“, sagte etwa Jasmina Kirchhoff vom Institut der Deutschen Wirtschaft im Gespräch mit Pro Generika.

Doch nicht nur sie kritisiert, dass das Planen den Unternehmen in Deutschland derzeit schwer gemacht werde. Denn statt verlässlicher Rahmenbedingungen sehen sich viele Firmen einem steigenden Kostendruck ausgesetzt – auch durch staatliche Eingriffe in den Markt. Andere Länder dagegen wie Indien und China locken mit gezielter Unterstützung, statt zusätzliche Vorgaben zu machen. Die Folge lässt sich bereits beobachten: Produktionen wandern aus Deutschland und Europa ab.

Jasmina Kirchhoff

Seit 2010 ist der asiatische Anteil an der Produktion von null auf 30 Prozent gestiegen. Andere Länder haben das Potenzial der Biosimilars erkannt – für die eigene Versorgung und für die Ökonomie. Sie fördern die Ansiedlung neuer Standorte entsprechend.

Dr. Jasmina Kirchhoff, Projektleiterin am Institut der Deutschen Wirtschaft

Und die Dynamik der Abwanderung droht sich sogar fortzusetzen. Denn die Politik plant, Biosimilars wie Generika zu behandeln. Schon jetzt sind einige Biopharmazeutika – nämlich die, die von Ärzt:innen parenteral, also per Spritze oder Infusion verabreicht werden – untereinander austauschbar. Diese sogenannte automatische Substitution ist auch für Fertigarzneimittel geplant.

Für unsere Fabrik in Schleswig-Holstein wäre die automatische Substitution desaströs. Wenn wir uns alle zwanghaft unterbieten ist das keine gesunde Konkurrenz mehr – sondern Gift für den Standort Deutschland.

Wir haben als Unternehmen nur begrenzte Mittel. Diese investieren wir im Zweifel dann nicht mehr hier.

Dr. Martin Spatz, Head of Specialty Business Germany STADAPHARM GmbH

Das Problem: Die automatische Substitution wird die Rahmenbedingungen für die Produktion von Biosimilars massiv verschlechtern – und eine ähnliche Entwicklung in Gang setzen wie bei den Generika. Denn sind Arzneimittel gegeneinander austauschbar, ermöglicht das exklusive Rabattverträge. Dabei erhält nur das Unternehmen den Zuschlag der Krankenkasse, das den günstigsten Preis bietet.

Für die Unternehmen bedeutet das: Sie müssen ihre Arzneimittel so billig wie möglich anbieten. Das aber gefährdet die Liefersicherheit, da die Hersteller einzelne Komponenten dort produzieren, wo es weltweit am günstigsten ist. So erhöht sich – analog zu Fiebersäften, Antibiotika und anderen Generika – die Gefahr von Engpässen. Und auch der Produktions- und Wissenstransfer gen Asien dürfte sich beschleunigen, fürchten Fachleute.

Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars

Wir haben bei den Generika gesehen, wie schnell Produktion abwandert, wenn der Kostendruck von außen zu hoch wird. Die Politik darf jetzt nicht denselben Fehler wiederholen.

Was wir stattdessen brauchen, sind Maßnahmen, die den Biopharmazeutika-Standort Deutschland und Europa für die Zukunft sichern.

Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars bei Pro Generika

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