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Q&A: Wie funktioniert der automatische Austausch von biologischen Arzneimitteln ab dem 1. Juni 2024?

Der Deutsche Apothekerverband und der GKV-Spitzenverband haben sich geeinigt. Sie hatten verhandelt, wie der an einigen Stellen vage G‑BA Beschluss zur automatischen Substitution von Biologika (Originale und Biosimilars) vom Sommer 2023 in der Apotheken-Praxis umzusetzen sei.

Es gab einige Fallstricke und es bleiben Fragezeichen. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen, was ab dem 1. Juni 2024 gilt, wo noch Unklarheiten herrschen – und welche Risiken das alles für die Versorgung birgt.

Stand: 30. Mai 2024

Um welchen Beschluss geht es nochmal?

Es geht um die Umsetzung des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G‑BA) zum „Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Fertigarzneimitteln durch Apotheken bei parenteralen Zubereitungen zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung“ (hier nachzulesen). Mit diesem Beschluss hat der G‑BA seinen gesetzlichen Auftrag aus dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)  (zumindest formal) erfüllt und Regelungen für den Austausch von biologisch hergestellten Fertigarzneimitteln (Originale und Biosimilars) vorgelegt, die zur parenteralen Anwendung direkt durch Ärzt:innen an Patient:innen verwendet werden. Zunächst gelten diese Vorgaben nur für Apotheken mit Steril-Laboren.

Was heißt das genau?

Es geht um in Apotheken patientenindividuell zubereitete Infusionen, die biotechnologisch hergestellte Arzneimittel enthalten und in Arztpraxen etwa an Krebspatient:innen verabreicht werden. Seit dem 15. März 2024 dürfen und sollen Apotheken das verschriebene biologische Arzneimittel durch ein kostengünstiges Biosimilar ersetzen. Dazu gibt es eine Austauschliste des G‑BA (alles hier nachzulesen).

Was hatte der G‑BA geregelt?

Die Arzneimittel-Richtlinie des G‑BA legt in einem neuen Paragrafen (§ 40b) fest, dass ein biologisches Arzneimittel vorrangig durch ein Arzneimittel ersetzt werden soll, für das ein spezieller Rabattvertrag besteht (§ 130a Abs. 8c SGB V) – also ein von den Krankenkassen landesweit gemeinsam geschlossener Rabattvertrag. Diese spezielle legislative Konstruktion gilt für onkologische Fertigarzneimittel zur parenteralen Zubereitung, also in Apotheken zubereitete Krebs-Infusionen.

Allerdings hat der G‑BA auch den Austausch außerhalb von Rabattverträgen geregelt, was über sein gesetzliches Mandat hinausging und vor allem Probleme in der Umsetzung schafft, weil es für die parenteral verabreichten Arzneimittel keine „Vorfahrtsregel“ in der Apotheke gibt – so wie es z. B. bei den herkömmlichen Generikarabattverträgen der Fall ist.

Funktioniert das wie vom G‑BA angedacht?

Eigentlich nicht. Denn bisher gibt es keine solchen einheitlichen und gemeinsamen Rabattverträge. Stattdessen nutzten die Kassen häufig Open-House-Verträge als Sparinstrument für biologische Krebsarzneimittel.

Wenn es aber keine Rabattverträge gibt, wie soll der Austausch dann erfolgen?

Hier kommt die sogenannten Hilfstaxe ins Spiel. Durch sie werden Abschläge geregelt und Preise gesenkt. Die vom G‑BA definierten Biologika beziehen sich auf sechs Wirkstoffe, deren Preise gedeckelt sind. Die Details sind in Anlage 3 der Hilfstaxe geregelt.

Bei der Abgabe eines solchen Biologikums schaut der Apotheker in die Hilfstaxe und erfährt, was er der Krankenkasse in Rechnung stellen kann. Auf diese Weise sollen höchstmögliche Einsparungen erzielt werden. Die Hilfstaxe gibt dem Apotheker aber nicht vor, welches Arzneimittel aus einer bestimmten Wirkstoffgruppe abgeben werden soll. Der Apotheker wird also versuchen, bei den Herstellern immer ein noch preisgünstigeres Präparat einzukaufen, was den Druck auf die Unternehmen weiter erhöht.

Unter diesen Wirkstoffen befinden sich auch Nicht-Onkologika. Für diese kämen grundsätzlich auch die Regelung durch die üblichen Rabattvertragskonstruktionen infrage. Das Problem der Doppelbelastung durch Hilfstaxe und Rabattvertrag würde sich auch hier stellen. Das Ausmaß des Einflusses dieser Verträge ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht abzusehen.

Warum ist die automatische Substitution gefährlich?

Die automatische Substitution soll noch höhere Einsparungen bringen. Die damit losgetretene Kaskade der ungebremsten Kostensenkungs-Mechanismen erinnert an die Entwicklung bei Generika. Die Folge der automatischen Substitution bei Generika sind immer wieder Lieferengpässe, die sich zuweilen bereits zu Versorgungsengpässen ausgeweitet haben.

Den Preis für die niedrigen Preise von Generika zahlen vor allem die Patientinnen und Patienten, die wichtige Medikamente mit Verzögerung oder gar nicht erhalten. Mit der automatischen Substitution von Biologika beschreitet man jetzt ungeachtet dieser Erfahrungen den gleichen Irrweg.

Mehr Informationen, warum die automatische Substitution gefährlich ist, lesen Sie hier.

Wie blicken die Politik und andere Stakeholder auf die automatische Substitution?

Auf dem Symposium der AG Pro Biosimilars im März 2024 gaben einige der wichtigsten Stakeholder ihre Einschätzungen ab:

Thomas Müller, Leiter der Abteilung 1 „Arzneimittel, Medizinprodukte und Biotechnologie“ im Bundesministerium für Gesundheit, betonte, dass derzeit nur bestimmte Biosimilars vom Austausch betroffen sind. Er sieht im Biosimilar-Markt noch nicht ausgeschöpftes Sparpotenzial und kündigte an, dass die Hilfstaxe gestärkt werden solle, um Wettbewerb zu ermöglichen. Zudem fokussiere sich die deutsche Pharmastrategie momentan auf Innovationen, nicht auf Biosimilars.

Birgit Heltweg, BARMER, kritisierte die Hilfstaxe und befürwortete stattdessen Ausschreibungen, die alle Rabatte den Krankenkassen zugutekommen lassen sollen. Es sei außerdem nicht die Aufgabe von Krankenkassen durch höhere Preise dafür zu sorgen, dass die Produktion von Biosimilars in Deutschland oder der EU bleibt.

Stefan Fink, Deutscher Apotheker Verbands (DAV), sah noch offene Fragen zum Preisanker und dem Umgang mit Lieferengpässen. Exklusive Rabattverträge sehe er kritisch, denn diese stehen der Resilienz des Standorts entgegen.

Christiane Müller, Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker e.V. (VZA), forderte mehr Transparenz über die tatsächlichen Einkaufspreise. Es sei aber ein Erfolg, dass ein preisgünstiges Präparat abgegeben werden könne – also nicht nur das „preisgünstigste“. So entstehe auch Wettbewerb, und zwar ohne den Kellertreppeneffekt von Ausschreibungen. Was genau „preisgünstig“ ist, sei aber noch zu definieren.

Christopher Kirsch, Sandoz/Hexal, kritisiert den G‑BA-Beschluss als handwerklich ungenau und warnt vor den Risiken weiterer Preiswettbewerbe, da sie zu Lieferengpässen führen können. Es werden bereits Rabatte in Höhe von ca. 80 Prozent gewährt – noch mehr Preiswettbewerb schade dem Standort Deutschland/Europa. Es könne nicht das Ziel der deutschen Politik sein, die europäische Standort-Politik zu unterlaufen. Rein ökonomisch sei es zwingend, dass der günstigste Anbieter nicht in Europa sitzen könne. Auch die Kombination von Rabattverträgen und der Hilfstaxe ist voller ungeklärter Widersprüche. Zudem sei es von äußerster Wichtigkeit, dass die Beschlüsse zum Austausch nicht auf weitere Bereiche ausgeweitet werden.

Wie steht die AG Pro Biosimilars zu dem Thema?

Das System der Biosimilars funktioniert: Es gibt maximale Versorgungssicherheit und gleichzeitig sorgen sie für massive Einsparungen. Der durch sie entstandene Wettbewerb führt dazu, dass die Preise der Originale nach Patentablauf sinken. Biosimilars kommen immer schneller in die Versorgung und sind fast alle unter Rabattvertrag.

Diese Balance greift die automatische Substitution an. Um noch höhere Einsparungen zu erzielen, wird die Versorgungssicherheit aufs Spiel gesetzt. Dabei sollte das Beispiel der Generika eigentlich als Warnung dienen.

Kann ich mich noch weiter informieren?

Die Folgen dieses G‑BA-Beschlusses haben wir auf unserem Symposium im März 2024 diskutiert. Sie möchten Sich noch umfassender informieren? Hier geht’s zur Aufzeichnung.

Warum es die automatische Substitution nicht braucht

Keinen Nutzen, hohe Risiken: Mehr Einsparungen sind bei Biosimilars nur auf Kosten der Versorgungssicherheit zu haben.

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