Deshalb sollte in der Arztpraxis über den Einsatz von Biosimilars entschieden werden

Derzeit können biopharmazeutische Arzneimittel mit demselben Wirkstoff nicht in der Apotheke gegeneinander ausgetauscht werden. Allein die Ärzte und Ärztinnen bestimmen, welches Präparat eine Person erhält.

Das soll sich mit dem Inkrafttreten der automatischen Substitution ändern. Ein Schritt, der viele Risiken birgt. Zehn Gründe, warum die Entscheidung über den Austausch weiterhin bei der Ärzteschaft liegen sollte.

Grund 1: Biosimilars sind ähnlich - aber nicht gleich

Zahlreiche Studien belegen, dass Biosimilars in Bezug auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit keine relevanten Unterschiede zu biologischen Erstanbieterpräparaten aufweisen. Sie sind mit dem Referenzarzneimittel therapeutisch gleichwertig und damit austauschbar. Trotzdem sollte die Umstellung (auch: Switch) nicht automatisch erfolgen, sondern nur unter ärztlicher Weisung. 

Denn: Biosimilars sind zwar ähnlich, aber nicht gleich. Aufgrund des biotechnologischen Herstellungsprozesses weisen sie eine geringfügige Variabilität auf, die sie von den Referenzarzneimitteln unterscheidet. 

Grund 2: Biopharmazeutika sind eine vielschichtige Therapieentscheidung

Biopharmazeutika sind hoch komplexe Wirkstoffe, die meist bei schweren oder chronischen Erkrankungen wie Krebs, Morbus Crohn, Multipler Sklerose und rheumatoider Arthritis zum Einsatz kommen. Das macht es umso erforderlicher, dass die Patient:innen in die Therapieentscheidung einbezogen werden. Und zwar sowohl bei Erstverordnungen als auch bei Wechseln – etwa vom Erstanbieterpräparat auf ein Biosimilars oder umgekehrt oder von einem Biosimilar auf ein anderes. Nur das behandelnde Fachpersonal kennt den bisherigen Therapieverlauf und die Einstellung des Erkrankten zu seiner Krankheit sowie zu den unterschiedlichen Behandlungsmaßnahmen. Und so kann z.B. genau eingeschätzt werden, mit welchem Präparat und Device die Behandelten am besten umgehen können.

Grund 3: Ärztliches Fachpersonal kennt sich aus mit Biosimilars  

Das Fachpersonal ist mittlerweile mit den Besonderheiten von Biosimilars – vor allem beim Herstellungsprozess und Zulassungsverfahren – gut vertraut. Es herrscht auch Konsens darüber, dass alle Biosimilars dieselben Anwendungsgebiete abdecken wie das Originalprodukt und somit auch untereinander austauschbar sind. Zudem haben sie Vertrauen in die Wirksamkeit der Biosimilars. Das ist auch der Grund, warum eine ärztlich angeleitete Um- und Einstellung in der Regel problemlos verläuft, denn sie können diese Sicherheit in einem umfassenden Gespräch mit den Erkrankten vermitteln.

Grund 4: Die ärztliche Aufklärung schafft Vertrauen

Sowohl bei Neueinstellungen als auch bei Umstellungen auf ein Biosimilar hat das ärztliche Aufklärungsgespräch einen hohen Stellenwert. Vertrauen Patient:innen nicht darauf, dass ihr Arzneimittel wirksam und verträglich ist, kann dies das Vertrauen zum Arzneimittel beeinträchtigen. Und: Verstärkt sich die Ablehnung, werden auch spätere Therapieentscheidungen ungünstig beeinflusst.

Grund 5: Ohne Vertrauen droht der Nocebo-Effekt

Hat eine Patient:in Vorurteile gegen ein Arzneimittel bzw. glaubt nicht an seine Wirkung, kann das den sogenannten Nocebo-Effekte hervorrufen. Davor hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) in der Überarbeitung ihres Biosimilar-Leitfadens ausdrücklich gewarnt. So können Angst oder Misstrauen auf Seiten der Patient:innen negative Folgen für die Therapie haben, denn sie führen aufgrund ausbleibender Wirkung oder falsch zugeordneter Symptome nicht selten zum Therapieabbruch. Ein vertrauensvolles Fachgespräch mit allen nötigen Informationen schließt dieses Phänomen in der Regel aus. 

Grund 6: Die Anwendung muss oft demonstriert werden

Die Mehrzahl der verfügbaren Biopharmazeutika wird parenteral (das heißt, per Injektion oder Infusion) appliziert – in vielen Fällen durch die Patient:innen selbst. Die Handhabung kann sich von Präparat zu Präparat deutlich unterscheiden. Daher erklärt das fachärztliche Personal in der Praxis vor der Erstanwendung die Funktionsweise der Spritze oder des PENs. Auf diese Weise werden Medikationsfehler ausgeschlossen und die Patient:innen gewinnen Sicherheit in der Handhabung. Den Rahmen dafür bietet ein vertrauensvolles Gespräch, das auch Raum für einen Erfahrungsaustausch lässt.

Dabei erhält der behandelnde Arzt oder Ärztin auch Unterstützung von seinen medizinischen Fachkräften. Beispielsweise erläutern sie bei Bedarf den Applikator nochmals, helfen bei der ersten Anwendung und stehen telefonisch für Rückfragen zur Verfügung.  

Grund 7: Reaktionen auf Arzneimittel sollten genau dokumentiert werden

Ein integraler Bestandteil der Arzneimittelsicherheit ist die dauerhafte Beobachtung von Arzneimitteln über die Zulassung hinaus – dazu ist es nötig, dass gemeldete Nebenwirkungen genau identifiziert und damit rückverfolgbar werden. Nebenwirkungen können leichte Reaktionen ohne klinische Bedeutung bis hin zu schweren, lebensbedrohlichen Unverträglichkeiten sein. 

Das Problem ist: Wenn Meldungen allein unter der Wirkstoffbezeichnung erfolgen, sind sie nicht eindeutig einem Fertigarzneimittel zuzuordnen. Für biologische Arzneimittel – Original wie Biosimilar – bedeutet dies, dass neben der Angabe des Wirkstoffs auch der Handelsname sowie die Chargenbezeichnung zu dokumentieren sind. 

Dazu ist die gezielte Mithilfe der Ärzteschaft bei der Dokumentation und Weitergabe der Informationen erforderlich. Nur so können unerwünschte Reaktionen einem bestimmten Arzneimittel, Herstellungsort und -verfahren bzw. einer bestimmten Charge zugeordnet werden. 

Grund 8: Das ärztliche Fachpersonal kann die Nachbehandlung vornehmen

Um wirkstoff- bzw. arzneimittelbedingte Probleme hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit einer biopharmazeutischen Therapie zu vermeiden, ist eine engmaschige klinische Überwachung nach einer Umstellung nötig. Am besten gelingt dies, wenn die behandelnden Ärzte die Umstellung selbst angeordnet haben bzw. umfangreich darüber informiert sind. Insbesondere in der ersten Zeit nach dem Wechsel auf ein anderes biopharmazeutisches Arzneimittel ist der regelmäßige Arzt-Patient-Austausch essenziell, um gegebenenfalls zeitnah Anpassungen vorzunehmen. 

Grund 9: Die Ärzteschaft will die Therapiehoheit behalten

Das GSAV sieht vor, dass biopharmazeutische Arzneimittel nicht mehr in der ärztlichen Praxis, sondern in der Apotheke ausgetauscht werden sollen. Kriterien zum Austausch sind im Vorwege vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) auszuarbeiten. Aber: In verschiedenen Fachbereichen – von Gastroenterologie über Onkologie bis Rheumatologie – ist sich die Ärzteschaft darüber einig, dass der Biopharmazeutika-Wechsel in ihrer Hand bleiben sollte. Sowohl die Bundesärztekammer (BÄK) als auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) haben sich gegen die automatische Substitution in der Apotheke ausgesprochen.

Ihre Befürchtung ist, dass dadurch nicht mehr in der Arzt-Praxis, sondern letztlich die Krankenkasse entscheidet, welchen Hersteller eines Biopharmazeutikums die Patient:in bekommt. Denn analog zur Regelung wie es sie für Generika gibt, erwarten BÄK und AkdÄ durch die automatische Substitution wechselnde Exklusivverträge der Krankenkassen mit verschiedenen Herstellern. In der Folge könnte dies beständige Biopharmazeutika-Umstellungen bedeuten, wodurch das Vertrauen der Patient:innen in Biosimilars und die Arzneimitteltherapiesicherheit in Gefahr wären.   

Grund 10: In anderen EU-Ländern ist der Austausch in Ärztehand

Eine automatische Substitution in der Apotheke, wie sie das GSAV vorsieht, ist in keinem europäischen Land erlaubt. So hat Frankreich die Substitution zunächst für zwei Wirkstoffe eingeführt. Deutschland beschreitet damit neue Wege, die andere Länder – aus gutem Grund – noch nicht beschritten haben. 

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