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Einigkeit auf Symposium: Politik soll automatische Substitution überdenken

Expert:innen wenden sich entschieden gegen den Biologika-Austausch in der Apotheke

Ab Sommer dieses Jahres sollen Biosimilars wie Generika behandelt werden. So legt es das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung aus dem Jahr 2019 fest. Dann können Biosimilars wie Generika gegeneinander ausgetauscht werden und die Krankenkassen werden exklusive Rabattveträge mit den Herstellern abschließen können.

Was genau wird diese Regelung bringen? Braucht es sie wirklich? Und was steht alles auf dem Spiel, wenn sie in Kraft tritt? Das war das Thema unseres Symposiums am 15. Februar 2022, das für die Zuschauerinnen und Zuschauer live aus der Malzfabrik in Berlin übertragen wurde.

Kostendruck, Abwanderung, Lieferengpässe: Wie verhindern wir eine Entwicklung wie bei Generika?

Thema der ersten Diskussionsrunde war die Stärke des Biosimilar-Standortes Deutschland. Dazu stellte Dr. Morris Hosseini, Senior Partner bei Roland Berger, eine neue Studie vor.

Seine Kernergebnisse:

  • Es gibt eine global integrierte Wertschöpfungskette, die belastbar ist. Aber: Asiatische Produktionsstätten gewinnen mehr und mehr an Bedeutung.
  • Eine lokale aggressive Preispolitik kann dieses Gleichgewicht gefährden — das gilt vor allem für die starke Rolle Deutschlands.
  • Die Erfahrungen aus dem Bereich der Antibiotika sollten wir ernstnehmen. Hier ist die Produktion fast vollständig abgewandert und es ist eine gefährliche Abhängigkeit entstanden.

Dr. Morris Hosseini

Senior Partner Roland Berger

Noch haben wir einen starken Standort Deutschland. Doch wehret den Anfängen! Lassen Sie uns aus den Erfahrungen lernen und bei Biosimilars nicht die gleichen Fehler machen wie bei Generika.

Sein Petitum — so stellte Hosseini klar — gehe nicht dahin, Kostensenkungen bei der Arzneimittelversorgung zu verurteilen. Sehr wohl müsse man sparen, so Hosseini: “Aber wenn die Erstattungskosten von Arzneimitteln unter den Produktionskosten liegen, haben wir eben keine europäischen Hersteller mehr. Die Folgen sind dramatisch und wir sollten den Bogen nicht überspannen.”

Was passiert in den Unternehmen, wenn der Kostendruck steigt?

Den Prozess, den die automatische Substitution bei den Unternehmen in Gang setzen wird, veranschaulichte Dr. Christopher Kirsch, Head of Market Access bei Sandoz Deutschland. Natürlich werde kein Unternehmen sein Werk hier in Deutschland abbauen und es in Asien wieder aufbauen. “So einfach sind Technologietransfers nicht möglich”. Aber man müsse — träte die automatische Substitutition tatsächlich in Kraft — davon ausgehen, dass europäische Hersteller aus dem Markt gedrängt und andere die Produktion übernehmen würden.

Kirsch sagte, er rechne langfristig mit ähnlichen Entwicklungen bei Biosimilars, wie sie aus dem Generika-Bereich bekannt sind. So hätten asiatische Wirkstoffhersteller im generischen Bereich Kostenvorteile gegenüber europäischen Konkurrenten von 20 bis 40 Prozent. Kirsch: “Bei Biosimilars haben wir noch komplexere Anlagen sowie deutlich höhere Kosten für Personal und Qualitätskontrollen. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass sich europäische Hersteller zwar eher längerfristig, dafür aber unwiderruflich aus der Produktion zurückziehen.”

Dr. Christopher Kirsch

Head Market Access, Sandoz Deutschland / Hexal AG

Bei Biosimilars ist die Situation noch heikler als bei Generika. Hier haben wir von vornherein nur wenige Hersteller. Wenn es hier zu einem Ausfallszenario kommt, dauert es noch viel länger, bis einer einspringen kann. Es droht ein Desaster.

Wie können die Krankenkassen die Versorgung sichern?

Christina Sabic, Geschäftsleiterin Ambulante Versorgung, AOK Bayern, betonte, dass den Krankenkassen die Versorgungssicherheit besonders am Herzen liege. Sie erwarte keine negativen Folgen der automatischen Substitution und sehe keinen Zusammenhang zwischen Rabattverträgen und Lieferengpässen — im Gegenteil: Man müsse hier von einer extrem stabilen Situation sprechen. Sabic: “Rabattverträge sind versorgungsstärkende Instrumente, denn sie bieten den Unternehmen Planungssicherheit.”

Christina Sabic

Geschäftsbereichsleiterin Ambulante Versorgung, AOK Bayern

Bei den Biosimilars müssen wir uns im ständigen Dialog miteinander befinden. Und es wird nötig sein, mit Augenmaß vorzugehen. Für eine stabile Versorgung setzen wir vor allem auf Lagerhaltung und Transparenz.

Als Strategie gegen mögliche Lieferengpässe brachte Sabic vor allem Transparenz seitens der Hersteller sowie verbindliche Lager von drei Monaten ins Gespräch. Dem setzte Hosseini entgegen: Biosimilars langfristig zu lagern sei schwierig — schon allein aufgrund der notwendigen Kühlung. Auch sei Transparenz keinesfalls ein Allheilmittel. Hosseini: “Dafür sind die Produktionsvorgänge zu diffizil und zu komplex.” Er warnte davor, das Problem der Engpässe zu bagatellisieren und führte die unwirtschaftlichen Preise als Grund für Engpässe ins Feld.

Kirsch bezweifelte vor allem, dass man mögliche Engpässe bei Biosimilars allein über alternative Ausschreibungsbedinungen in den Rabattverträgen verhindern könne. Lager würden das strukturelle Problem nicht lösen, sondern im Zweifel lediglich die Symptome abschwächen. Er appellierte, nach den Ursachen der Lieferengpässe zu forschen — und diese lägen in der durch Kostendruck verursachten Marktverengung. Kirsch: “Wir sollten nicht überlegen, wie die Rabattverträge ausgestaltet werden können. Wir sollten uns erstmal fragen, ob wir diese bei den Biosimilars tatsächlich einführen wollen. Meine Meinung ist klar: Das wäre ein großer Fehler. Es ist nun an der Politik, das hier diskutierte Regularium noch einmal zu überdenken.”

Gleichzeitig erinnerte Kirsch an das Koalitionspapier der Ampel-Parteien: “Die neue Regierung hat sich vorgenommen, den Biotech-Standort Deutschland zu stärken. Doch die automatische Substitution wird das Gegenteil bewirken: Sie wird unseren Standort schwächen.”

Video: So hat sich die Produktion von Biosimilars in den letzten Jahren von Europa und der USA Richtung Asien ausgebreitet

Der G‑BA hat den gesetzlichen Auftrag, die automatische Substitution zu regeln – was kommt jetzt?

Welche medizinischen Folgen sind zu erwarten, wenn die automatische Substitution in Kraft tritt? Was spricht aus Sicht der Unternehmen gegen diese Regel? Und was sollte der G‑BA beachten, wenn er mit der Ausgestaltung des Gesetzes beginnt? Das waren die Fragen, die in der zweiten Diskussionsrunde besprochen wurden.

Dr. Martin Danner, Vorsitzender der Patientenvereinigung BAG-Selbsthilfe, betonte, dass es für Patient:innen zunächst darauf ankomme, die medizinisch gebotene Therapie zu erhalten. Davon ausgehend sollten sämtliche Beeinträchtigungen der Versorgung von vornherein ausgeschlossen werden. Danner: “Natürlich ist es wichtig, wirtschaftliche Reserven zu heben. Aber den Austausch von Biosimilars sehen wir kritisch, denn: Rabattverträge sind nicht das geeignete Instrument, um Versorgung zu steuern.”

Dr. Martin Danner

Bundesgeschäftsführer, Patientenorganisation BAG SELBSTHILFE e.V.

Die Patient:innen können sich nicht ständig auf neue Präparate einstellen, sie brauchen ärztliche Beratung. Die automatische Substitution gefährdet den Erfolg von Therapien – einfach, weil das System Geld sparen will.

Danner nahm vor allem den Gesetzgeber in die Pflicht. Dieser habe die Regelung eingeführt und müsse nun prüfen, ob die Rahmenbedinungen dafür überhaupt gegeben wären. Danner: “Der Gemeinsame Bundesausschuss kann ja nicht einfach entscheiden: Nein, die automatische Substitution machen wir nicht. Dafür braucht es den Eingriff des Gesetzgebers.”

Danner verwies zudem auf die Tatsache, dass unterschiedliche Präparate auch unterschiedliche Applikationsformen haben: “Einige Patientinnen und Patienten sind sehr lernfähig und fingerfertig. Wir haben aber auch welche mit motorischen Einschränkungen oder Sehbehinderungen, für die wird es schon schwierig. Außerdem ist die Verunsicherung ein Problem — und die kann Auswirkungen auf den Erfolg der Therapien haben.”

Dem pflichtete Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der AkdÄ, aus ärztlicher Sicht bei. Er legte Wert darauf zu betonen, wie wichtig es sei, bei der Arzneimittelversorgung Kosten einzusparen. Dafür seien, so Ludwig, die Biosimilars unerlässlich. “Ich glaube, dass die Aufklärung seitens der Ärzte und Ärztinnen ein Grund für den Erfolg der Biosimilars ist. Die Ärzteschaft hat sich mehrheitlich gut informiert und verstanden, worauf es ankommt. Wir als AkdÄ waren von vornherein absolute Verfechter der Biosimilars.”

Dennoch, sei er gegen die automatische Substitution. Ludwig: “Der Austausch braucht ärztliche Beratung. Und wenn eine Patientin — ein Patient hört, dass er aus wirtschaftlichen Gründen ein günstigeres Präparat erzählt — ohne dass ihm Arzt oder Ärztin vorher erklärt hat, dass dies problemlos möglich ist — dann wird er skeptisch und möglicherweise dieses Arzneimittel ablehnen. Und dann kann es Nocebo-Effekte geben. Das haben wir in Studien oft genug gesehen.”

Prof. Dr Wolf-Dieter Ludwig

Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Für alle die, die sich für Biosmilars eingesetzt haben, wäre die automatische Substitution eine Niederlage. Wir sollten das dringend benötigte Einsparpotential nicht gefährden durch Aktionismus, der ihren Erfolg gleich wieder in Frage stellt.

Ludwig sprach auch das Problem der Pharmakoviliganz an. Wenn die automatische Subsitution umgesetzt wird, könnte das fachärztliche Personal etwaige Nebenwirkungen dem verabreichten Arzneimittel nicht zuordnen. Deshalb brauche es eine verlässliche Dokumentation, um Nebenwirkungen nachvollziehen zu können. Ludwig: “Es ist doch ein Zeichen, dass es automatische Substitution in keinem anderen großen europäischen Land gibt. Unsere Politiker sollten das ernst nehmen. Wir sollten hier in Deutschland nicht aus Aktionismus etwas umsetzen, das noch gar nicht durchdacht ist — nur weil es halt beschlossen wurde.”

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, betonte vor allem den Unterschied zwischen Generika und Biosimilars. Während die einen problemlos auf Apothekenebene ausgetauscht werden könnten, sei das bei den anderen nicht so einfach. Das liege nicht zuletzt an der notwendigen Einweisung in die jeweiligen Darreichungsformen. “Bei den Biologika haben wir es mit speziellen Arzneiformen zu tun, die erklärt und geübt werden müssen.” Bei einigen Patient:innen gelänge es durch ausgiebige Beratung, bei anderen gelänge es nicht. Da wäre ein Automatismus ein wirklich schwieriger Schritt.

Wenn die automatische Substitution aber käme, brauche es eine sehr enge und gut geregelte Kommunikation und Absprachen zwischen Ärzte‑, Patienten- und Apothekerschaft. Erst wenn diese gewährleistet sei, könnten die Apotheken die Beratung übernehmen.

Dr. Kerstin Kemmritz

Präsidentin, Apothekerkammer Berlin

Wir sehen es oft in der Apotheke: Schon der Wechsel auf ein anderes Präparate als das gewohnte ist für viele Patientinnen und Patienten ein großer Eingriff. Wenn sich jetzt noch die Darreichungsform ändert, wird es für sie nicht einfacher.

Aus Gründen wie diesen, so Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars, sei die automatische Substitution ein Irrweg. Und es brauche sie auch nicht — im Gegenteil: Sie berge zu viele Risiken. Röhrer forderte die Politik dazu auf, anzuerkennen, was die Biosimilars bislang schon geleistet hätten: “Die gesundheitspolitischen Ziele sind alle erreicht. Erhebliche Einsparungen werden realisiert, es gibt keine Lieferausfälle und die Ärzteschaft sowie die Patient:innen vertrauen den Biosimilars.”

In seinen Augen seien sich sämtliche an der Versorgung Beteiligte erschreckend einig darin, dass die Zeit für die automatische Substitution ganz offenbar noch nicht reif und die dafür nötigen Rahmenbedingungen noch nicht gegeben seien. Röhrer: “Die Politik muss jetzt sehen, dass hier etwas gestartet wurde, was nicht klappen wird — und was es auch überhaupt nicht mehr braucht.”

Walter Röhrer

Associate Director Market Access Biosimilars, Biogen GmbH und Vorsitzender AG Pro Biosimilars

Es braucht die automatische Substitution nicht. Das jetzt einzusehen, ist eine Chance für die neue Regierung: Sie sollte hier nicht den Fehler machen, den ihr die alte vererbt hat.

Hier finden Sie die wichtigsten Positionen zusammengefasst:

Hier können Sie sich die Gesamte Veranstaltung noch einmal ansehen: