Biosimilars sollen wie Generika behandelt werden. Dann droht den Nachahmerpräparaten biopharmazeutischer Arzneimittel dasselbe Schicksal wie Generika: Abwanderung der Produktion und eine Versorgung, die aufgrund massiven Preisdrucks instabil wird.
Im Interview warnt Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars, vor dem „Generika-Fehler 2.0“ – und erklärt, warum kurzfristige Einsparungen die Versorgung nicht nur schwächen, sondern langfristig auch verteuern könnten.
Herr Röhrer, eine ganz grundsätzliche Frage vorweg: Was bedeutet „automatische Substitution“?
Röhrer: Es bedeutet, dass Biosimilars nach demselben Muster ausgetauscht werden wie Generika. Biosimilars sind Nachahmerprodukte von biologischen Arzneimitteln, die gentechnisch hergestellt werden. Bislang regelt i.d.R. der Arzt bzw. die Ärztin, ob man ein Originalprodukt oder ein Biosimilar bekommt und von welchem Hersteller das genau sein soll. Wenn der Beschluss, an dem der Gemeinsame Bundesausschuss derzeit arbeitet, in Kraft tritt, soll das nur eine untergeordnete Rolle spielen, denn dann soll der Apotheker dem Behandelten das Präparat aushändigen, über das es einen Rabattvertrag zwischen einer Krankenkasse und einem bestimmten Hersteller gibt.
Warum ist das problematisch?
Es gibt viele Dinge, die daran problematisch sind, auch medizinische. Aber wir Hersteller sind dagegen, weil dieser Schritt exklusive Rabattverträge zwischen Krankenkassen und einzelnen Herstellern möglich macht. Das heißt: Ein einziges Unternehmen versorgt exklusiv alle Versicherten einer Kasse mit einem bestimmten Arzneimittel – alle anderen sind raus aus dem Markt. Dieses „the winner takes it all“-Prinzip ist hochriskant. Denn fällt dieser Hersteller aus, ist niemand da, der einspringen kann.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschließt die Einleitung des Stellungnahmeverfahrens zum „Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Fertigarzneimitteln durch Apotheken“.
Ende des Stellungnahmeverfahrens zum „Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Fertigarzneimitteln durch Apotheken“.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) berät über die eingereichten Stellungnahmen.
Der Beschluss wird verabschiedet und verkündet.
Prüfung durch das Gesundheitsministerium auf formale Korrektheit.
Wenn keine Beanstandung durch das Bundesgesundheitsministerium:
Biosimilars werden wie Generika behandelt…
Sparen die Krankenkassen auf diese Art nicht Geld?
Kurzfristig vielleicht. Aber der Preis ist trotzdem hoch. Denn: Den Zuschlag bei dieser Art Ausschreibungen bekommt der, der den günstigsten Preis bietet. Das zwingt Hersteller dazu, ihre Lieferketten auf maximale Effizienz zu trimmen. Polster und Redundanzen fallen weg. Die Folge: Ja, der Preis sinkt. Aber mit ihm die Anreize, in dieses aufwändige Geschäft zu investieren. Biosimilars sind ja keine Generika.
Inwiefern?
Um Biosimilars zu entwickeln braucht es deutlich längere Vorlaufzeiten. Und sie zu produzieren ist mit ungleich höheren Investitionen verbunden. Das müssen Unternehmen einkalkulieren, wenn sie sich entschließen, ein Biosimilars auf den Markt zu bringen.
Und was passiert, wenn diese Rechnung nicht mehr aufgeht?
Dann kommt in den Unternehmen alles auf den Prüfstand. Einige werden auf Produktionsstätten im Ausland setzen – etwa in China. Andere nehmen bestimmte Produkte ganz aus dem Portfolio bzw. bringen neue gar nicht erst auf den Markt. Und dann wird es richtig teuer für unser Gesundheitssystem.
Weil es dann keine günstigeren Alternativen mehr gibt?
Genau. Biosimilars sorgen für Preiswettbewerb und machen Einsparungen möglich. Der durch sie entstehende Wettbewerb senkt die Kosten schon unmittelbar zur Markteinführung durchschnittlich um 30 bis 40 Prozent, im Einzelfall sogar um noch mehr. Alleine 2024 sorgten Biosimilars für Einsparungen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Werden keine Biosimilars entwickelt, bleibt die Therapie teuer. Dann ist die Automatische Substitution keine Sparmaßnahme mehr, sondern führt in der Praxis zu höheren Ausgaben. Und erreicht genau das Gegenteil dessen, was politisch gewollt ist: Es gibt weniger Versorgungssicherheit, weniger Biotech-Produktion – und am Ende mehr Kosten für das System.
Sie sprachen auch von Folgen für die Versorgungssicherheit.
Ja, weil das „Hauptsache-Billig-Prinzip“ von exklusiven Rabattverträgen zu Lieferengpässen führt. Das sehen wir ja bei den Generika, wo wir mitten in einer veritablen Versorgungskrise stecken. Und bei Biosimilars wäre diese Entwicklung noch gravierender – denn hier gibt es von vornherein weniger Anbieter. Zudem sei gesagt: Eine Biotech-Produktion holt niemand zurück. Wenn diese weg ist, ist sie weg.
Dann passt der Schritt nicht wirklich zu dem erklärten Ziel der Regierungskoalition, Deutschland zum Weltmarktführer in Sachen Biotech zu machen?
Nicht wirklich, nein. Wenn ein Unternehmen entscheiden muss, wo es künftig produziert, ist ein stabiler Markt mit verlässlichen Rahmenbedingungen das entscheidende Kriterium. Wenn der nicht mehr gegeben ist, weicht man auf andere Länder aus. Und das steht im klaren Widerspruch zu den politischen und wirtschaftlichen Zielen der neuen Regierungskoalition.
Was bedeutet das für die Zukunft von Biosimilars insgesamt?
Schon heute gibt es viele Wirkstoffe, die zwar aus dem Patent gelaufen sind, für die aber kein Biosimilar entwickelt wird – weil sich das wirtschaftlich nicht lohnt. Dieser Trend wird sich verstärken, wenn exklusive Rabattverträge zur Regel werden. Dann fehlen dem Markt kostengünstige Alternativen. Das verteuert die Versorgung – strukturell und dauerhaft.
Kann die Politik das noch stoppen?
Die Politik muss den eingeschlagenen Kurs überprüfen. Exklusive Rabattverträge in Kombination mit automatischer Substitution passen nicht in die Zeit, in der ein starker Standort aus wirtschaftlichen Gründen so entscheidend ist. Und aus politischen – man schaue auf die geopolitische Lage – nicht weniger!
Der Pharmadialog ist angekündigt – kann er hier etwas bewirken?
Ja, er wäre genau der richtige Rahmen, um solche weitreichenden Entscheidungen gemeinsam mit allen Beteiligten zu diskutieren, bevor sie umgesetzt werden. Derzeit erleben wir das Gegenteil: Erst wird geregelt, dann diskutiert. Wenn der G-BA, der sich naturgemäß nicht für die Themen Standort und Versorgungssicherheit interessiert, bereits Fakten schafft, bevor der politische Dialog beginnt, entwertet das nicht nur das Format des Pharmadialogs. Es bedeutet auch, dass wir aus dem Generika-Fehler nichts gelernt haben. Und das kann ja nun wirklich niemand wollen.
Herr Röhrer, wir danken Ihnen für das Gespräch!