Positionen

Politischer Fehler mit schweren Folgen?

Warum es die automatische Substitution nicht braucht

Keinen Nutzen, hohe Risiken: Mehr Einsparungen sind bei Biosimilars nur auf Kosten der Versorgungssicherheit zu haben.

Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde im Sommer 2019 beschlossen. Die vorgesehene Regelung legt fest, dass biotechnologisch hergestellte Arzneimittel in der Apotheke gegeneinander ausgetauscht werden sollen. Bisher entscheiden Arzt oder Ärztin, ob eine Patientin oder ein Patient das Originalprodukt oder das gleichwertige, aber günstigere, Biosimilars bekommt. Die automatische Substitution ändert das.

Substitution von Biosimilars: Was ändert sich mit dem “Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung” (GSAV)?

Ursprünglich sollten ab August 2022 biotechnologisch hergestellte Arzneimittel in Apotheken automatisch gegeneinander ausgetauscht werden. Doch kurz vorher wurde dieser Termin um ein Jahr verschoben. Doch was bedeutet es, wenn diese automatische Substitution tatsächlich in Kraft tritt?

Die Entscheidung, welches Präparat ein Patient oder eine Patientin erhält, treffen dann nicht mehr Arzt oder Ärztin. Bestimmend ist vielmehr der Vertrag zwischen Hersteller und Krankenkasse.

Das System der Biosimilars funktioniert derzeit: Es gibt maximale Versorgungssicherheit, gleichzeitig sorgen sie für massive Einsparungen. Diese Balance greift die automatische Substitution an. Um noch höhere Einsparungen zu erzielen, wird die Versorgungssicherheit aufs Spiel gesetzt. Dabei sollte das Beispiel der Generika eigentlich als Warnung dienen.

Fehler, die bei den Generika gemacht wurden, werden jetzt wiederholt – während die Politik gleichzeitig versucht, sie bei den Generika wieder rückgängig zu machen. Das ist weder wirtschaftlich noch nachvollziehbar,“ so Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars.

Folgen der automatischen Substitution bei Arzneimitteln

Warum braucht es die automatische Substitution nicht?

Die automatische Substitution von Biopharmazeutika ist überflüssig, denn Biosimilars generieren bereits massive Einsparungen. Der durch sie entstandene Wettbewerb führt dazu, dass die Preise sinken. Biosimilars kommen immer schneller in die Versorgung und sind fast alle unter Rabattvertrag.

Biosimilars führen schon jetzt zu massiv sinkenden Preisen

Wo immer Biosimilars auf den Markt gelangen, sinken die Kosten für die betreffenden Wirkstoffe. Nicht nur weil Biosimilars günstiger sind als das Originalpräparat. Sie bewirken auch, dass der Hersteller des Originals seinen Preis senkt. Ingesamt wurden dank Biosimilars bereits 4,2 Miliarden Euro eingespart. Bestes Beispiel ist der einstige Blockbuster Humira® (Wirkstoff: Adalimumab). Hier kostet eine Tagestherapiedosis im Juni 2022 fast 50 Prozent (genau: 47,1 Prozent) weniger als noch vor Ablauf des Patents.

So steigen die Einsparungen durch Biosimilars von Jahr zu Jahr:

BIOSIMILARS werden immer häufiger verschrieben – und sichern so die Versorgung

War das Tempo, in dem ein Biosimilar den Markt durchdringt, zu Beginn noch verhalten, beschleunigt es sich mit jedem Biosimilar, das auf den Markt kommt. Mittlerweile machen Biosimilars in ihren Märkten rund zwei Drittel der Verordnungen aus.

Blickt man auf die Jahre der Markteinführung, erkennt man die Dynamik: Während die Biosimilars mit dem Wirkstoff Infliximab (eingeführt 2015) nach einem Jahr gerade mal 22 Prozent Marktanteil hatten, erreichten die Biosimilars mit dem Wirkstoff Adalimumab (eingeführt 2018) im gleichen Zeitraum 53 Prozent.

Der Grund: Im Laufe der Jahre haben Ärztinnen und Ärzte gute Erfahrungen mit Biosomilars gemacht, sie werden nun häufiger verschrieben.

90 Prozent der Biosimilars sind bereits unter Rabattvertrag

Rabattverträge sind ein effizientes Instrument zur Kostensenkung. Bei dieser Vertragsart gewähren die Hersteller den Krankenkassen Rabatte auf ihre Preise. Rabattverträge kommen nicht nur bei Generika zum Einsatz. Sie umfassen längst auch die Biosimilars. So sind derzeit schon 90 Prozent der abgegebenen Biosimilar-Packungen unter Rabattvertrag.

Indem sie die automatische Substitution einführt, ermöglicht es die Politik den Krankenkassen, auch exklusive Rabattverträge mit den Herstellern abzuschließen. Dies führt zu noch höheren Rabatten und ist gleichzeitig riskant. Denn dann ist nur ein einziger Hersteller für die Versorgung aller Versicherten verantwortlich und nicht — wie es derzeit der Fall ist — mehrere.

Fast alle abgegebenen Packungen von Biosimilars stehen unter Rabattvertrag: 90 Prozent.
Bei den Biosimilars gibt es bereits Rabattverträge. Die mit der automatischen Substitution geplanten exklusiven Rabattverträge gefährden ein funktionierendes System mit gesundem Wettbewerb.

Wieso ist die automatische Substitution gefährlich?

Die automatische Substitution macht exklusive Rabattverträge möglich. Das verschärft den Kostendruck massiv. Das Mehr an Einsparungen ist nur für ein Weniger an Versorgungssicherheit und eine Schwächung des europäischen Standorts zu haben.

Biosimilars werden aktuell an vielen Produktionsstätten hergestellt – das gewährleistet eine stabile Versorgung. Automatische Substitution gefährdet das.

Aktuell verteilen sich die Produktionsstätten von Biosimilars über den gesamten Globus. Diese Landkarte ist perfekt diversifiziert. Biosimilars stehen für maximale Versorgungssicherheit. Vorübergehende Lieferengpässe bei Biosimilars konnten stets von anderen Herstellern ausgeglichen werden. Das liegt an einer perfekt diversifizierten Produktionslandkarte. Und einem starken Standort in Europa.

Der europäische Marktanteil der in Deutschland benötigten Biosimilars (in Tagestherapiedosen) liegt derzeit bei 56 Prozent. Seit einigen Jahren aber entstehen auch in Asien große Produktionsstätten und übernehmen mehr und mehr die Produktion von hierzulande benötigten Biosimilars. Fest steht: Die Vielfalt der Produktionsstandorte ist ein Garant für resiliente Lieferketten und eine verlässliche Versorgung der Patientinnen und Patienten.

Herstellungsstaetten Biosimilars

Die automatische Substitution bringt Entwicklungen wie auf dem generika-Markt

Die automatische Substitution soll noch höhere Einsparungen bringen. Sie macht es möglich, dass die Krankenkassen exklusive Rabattverträge mit den Herstellern abschließen können.

Dass das gefährlich für die Versorgungssicherheit ist, zeigt die Entwicklung bei Generika. Hier hat der Kostendruck zur Abwanderung der Produktion nach China und Indien geführt. Es sind globale Lieferketten entstanden, die immer effizienter und dabei immer störanfälliger wurden. Die Folge der automatischen Substitution bei Generika sind immer wieder Lieferengpässe, die sich zuweilen bereits zu Versorgungsengpässen ausgeweitet haben. Den Preis dafür zahlen vor allem die Patientinnen und Patienten, die wichtige Medikamente mit Verzögerung oder gar nicht erhalten.

Walter Röhrer

Associate Director Market Access Biosimilars, Biogen GmbH und Vorsitzender AG Pro Biosimilars

Es braucht die automatische Substitution nicht. Das jetzt einzusehen, ist eine Chance für die neue Regierung: Sie sollte hier nicht den Fehler machen, den ihr die alte vererbt hat.

Derzeit diskutiert die Politik Ideen, um die Produktion einzelner Generika-Wirkstoffe zurück nach Deutschland zu holen. Und während sie dort versucht, eine gefährliche Entwicklung wieder rückgängig zu machen, macht sie bei den Biosimilars denselben Fehler zum zweiten Mal. Sie bewegt sich auf denselben Kreislauf zu, in den sie auch bei Generika geraten ist. Ein Kreislauf, der mit dem Wunsch nach Einsparungen beginnt, das Instrument der Exklusivverträge benutzt, die Abwanderung riskiert — und dann erkennt, dass der Kostendruck wieder abgeschwächt werden muss.

Sämtliche Akteure der Versorgung raten vom automatischen Austausch der Biopharmazeutika ab

Sofern nicht mehr Ärztinnen und Ärzte darüber entscheiden, welches Präparat ein Patient oder eine Patientin erhält, steht die Therapiesicherheit in Gefahr. Deshalb sprechen sich Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker sowie Vertreterinnen und Vertreter der Patientenschaft gleichermaßen gegen die automatische Substitution aus.

Die automatische Substitution von Biosimilars gefährdet Therapien

Prof. Dr Wolf-Dieter Ludwig

Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft

Für alle die, die sich für Biosmilars eingesetzt haben, wäre die automatische Substitution eine Niederlage. Wir sollten das dringend benötigte Einsparpotential nicht gefährden durch Aktionismus, der ihren Erfolg gleich wieder in Frage stellt.

Die Ärzteschaft sieht vor allem im möglicherweise auftretenden Nocebo-Effekt ein großes Problem. Dazu kann es kommen, wenn der Patient oder die Patientin nicht von der Wirksamkeit eines Arzneimittels überzeugt ist. Der Nocebo-Effekt stellt eine große Gefahr für den Erfolg der Therapien dar.

Institutionen wie etwa die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sehen dieses Problem vor allem dann, wenn Arzt oder Ärztin zu dem von ihnen verordneten Arzneimittel nicht mehr beraten können. Nur wenn ein Medikament vom Patient verstanden wird, kann es erfolgreich verabreicht werden, sagte ihr Vorsitzender Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig auf einer Veranstaltung der AG Pro Biosimilars im Februar 2022 und sprach sich entschieden gegen die automatische Substitution aus: „Der Austausch braucht ärztliche Beratung. Und wenn ein Patient oder eine Patientin hört, dass er aus wirtschaftlichen Gründen ein günstigeres Präparat erhält — ohne dass ihm Arzt oder Ärztin vorher erklärt hat, dass dies problemlos möglich ist — dann wird er skeptisch und möglicherweise dieses Arzneimittel ablehnen. Und dann kann es Nocebo-Effekte geben. Das haben wir in Studien oft genug gesehen.”

Patientinnen und Patienten wollen, dass Arzt oder Ärztin weiter entscheiden

Die Patientenschaft lehnt die automatische Substitution ebenfalls strikt ab. Auch sie sieht die Therapie durch mögliche Nocebo-Effekte oder Therapieabbrüche gefährdet. Wenn Patientinnen und Patienten ohne Aufklärung einfach ein anderes Präparat bekämen, weil es günstiger sei, könnten Fehler bei der Verabreichung passieren, kritisierte Dr. Martin Danner, Vorsitzender der Patientenvereinigung BAG-Selbsthilfe auf derselben Veranstaltung: „Die automatische Substitution gefährdet den Erfolg von Therapien – einfach, weil das System Geld sparen will.“

Biosimilars sind keine Generika

Der Grund, warum Biopharmazeutika nicht analog zu Generika behandelt werden dürfen, liegt für viele darin, dass sie sich deutlich von diesen unterscheiden. Bei Biosimilars handelt sich um komplexere Arzneimittel, deren Anwendung (z. B. mit einem Pen) voraussetzungsreicher ist. Das macht — etwa aus dem Blickwinkel der Apothekerinnen und Apotheker — einen erhöhten Beratungsbedarf erforderlich.

Dr. Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekerkammer Berlin, betonte deshalb im Februar 2022 den Unterschied der beiden Arzneimittelarten: Während Generika problemlos auf Apothekenebene ausgetauscht werden können, sei dies bei Biosimilars nicht so einfach. „Bei den Biologika haben wir es mit speziellen Arzneiformen zu tun, die erklärt und geübt werden müssen,” so Kemmritz.

Was bedeutet die automatische SUbstitution für die Versorgung?

Wie die automatische Substitution abläuft, was soll sie bringen soll — und welche Folgen sie für Patientinnen und Patienten haben kann, erklärt dieser Film!

Das spricht gegen die automatische Substitution

Preisdruck schwächt die Versorgungssicherheit. Walter Röhrer, Vorsitzender der AG Pro Biosimilars, spricht darüber, dass die Politik hier den Generika-Fehler ein zweites Mal macht.

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Walter Röhrer, Vorstand AG